Kleinwagen meist ohne Anti-Schleuder-Technik
Mit elektronischen Anti-Schleuder-Systemen liesse sich die Zahl der Verkehrsunfälle massiv senken. Doch weder Behörden noch Autohersteller handeln.
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saldo 10/2007
30.05.2007
Pascal Tischhauser
Rund 25 Prozent aller Autounfälle, bei denen sich Personen verletzen, und bis zu 40 Prozent der tödlichen Unfälle würden vermieden, wären alle Autos mit dem elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) ausgerüstet. Zu diesem Ergebnis kommt die Unfallforschung der deutschen Versicherer. Auch die Swedish Road Administration und die amerikanische National Highway Traffic Safety Administration kommen in eigenen Studien zu ähnlichen Ergebnissen. In den USA müssen denn auch bis 2012 alle neuen Au...
Rund 25 Prozent aller Autounfälle, bei denen sich Personen verletzen, und bis zu 40 Prozent der tödlichen Unfälle würden vermieden, wären alle Autos mit dem elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) ausgerüstet. Zu diesem Ergebnis kommt die Unfallforschung der deutschen Versicherer. Auch die Swedish Road Administration und die amerikanische National Highway Traffic Safety Administration kommen in eigenen Studien zu ähnlichen Ergebnissen. In den USA müssen denn auch bis 2012 alle neuen Autos über ESP verfügen.
ESP ist ein sogenannt aktives Sicherheitssystem: Es vergleicht laufend die vom Lenker eingeschlagene Zielrichtung mit der Richtung, in die sich das Auto tatsächlich bewegt. Unterscheiden sich diese, ergreift ESP in Sekundenbruchteilen Gegenmassnahmen. So können Schleuderunfälle im Ansatz verhindert werden.
ESP wäre besonders für Jungfahrer sinnvoll. Denn vor allem sie verunfallen häufig schwer. 77 Menschen zwischen 18 und 24 Jahren starben allein 2005 auf Schweizer Strassen. 858 unter 25-Jährige wurden gravierend verletzt. Schleuder- und Selbstunfälle sind bei jungen Autofahrern die häufigste Form schwerer Unfälle.
Schleuderanfällige Kleinautos: ESP nur selten eingebaut
Junglenker entscheiden sich aus Kostengründen meist für Kleinwagen. Diese kommen aufgrund des schmaleren und kürzeren Radstands schneller ins Schleudern. Doch gerade in Kleinwagen findet sich das System selten serienmässig. Das zeigt eine Untersuchung von Stefan Siegrist von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU). Er hat die angebotenen Neuwagen untersucht. Resultat: Während Oberklasse-Autos zu 70 Prozent und Mittelklasse-Autos zu 50 Prozent über ESP verfügen, sind nur 5 Prozent der Kleinwagen serienmässig mit ESP ausgestattet. Will jemand das System trotzdem, muss er dafür 400 bis 900 Franken zusätzlich bezahlen. In einigen Autos der Kompaktklasse ist ESP nicht einmal auf Wunsch erhältlich.
Die Unfallforschung der deutschen Versicherer fordert, alle Neuwagen zwingend mit dem Anti-Schleuder-System auszurüsten. Richard Schild, Sprecher des deutschen Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Berlin, hält aber gegenüber saldo fest, dass nationale Bestrebungen aufgrund des globalen Marktes ausgeschlossen seien. Unter der Regierung Gerhard Schröders sah man das noch anders: «ESP in jedes Auto» forderte Verkehrsminister Manfred Stolpe damals.
Auch in der Schweiz ist eine ESP-Pflicht nicht in Sicht. Thomas Rohrbach, Sprecher des Bundesamts für Strassen (Astra), bestreitet zwar die Wirksamkeit des Stabilitätsprogramms nicht. Doch beim Astra setze man auf das Programm «Via Sicura». Es sieht diverse Massnahmen für sicherere Strassen und Fahrzeuge sowie besser geschulte Autolenker vor. Doch das Programm liegt seit längerem beim Bundesrat. Und eine ESP-Pflicht ist auch dort nicht vorgesehen.
Hersteller setzen lieber auf günstige Verkaufspreise
Die Autohersteller stellen sich auf den Standpunkt, dass nicht jeder Fahrer ESP wolle. General-Motors-Sprecher Christoph Bleile zum Beispiel sagt: «Viele Kunden wollen möglichst günstige Autos, in deren Standardausrüstung kaum etwas drin ist. So auch kein ESP.» Auf die Frage, weshalb gerade bei kleineren Fahrzeugen ESP häufig fehle, entgegnet Bleile, dass in diesem Segment knapp kalkuliert werde und Kunden einen Mehrpreis für ESP nicht goutierten.
Auch bei einer ESP-Pflicht würde es noch Jahre dauern, bis sie ihre volle Wirkung zeigte: «Bis zu zehn Jahre werden Autos im Schnitt gefahren», erklärt Stephan Kraus, Sprecher des Autozulieferers Bosch, der ESP 1995 auf den Markt brachte. «Und Junge kaufen tendenziell eher Gebrauchtwagen.» Bis auch alle Occasionen über ESP verfügen, werden weiterhin zu viele junge Erwachsene ins Schleudern geraten. Nachrüsten lässt sich ESP nämlich nicht.
ESP an Bord?
Fragen Sie beim Autokauf nach einem elektronischen Stabilitätsprogramm. Aufgepasst:
Dieses kann je nach Automarke auch unter einer anderen Bezeichnung als ESP laufen: DSC (BMW, Mazda), MASC (Mitsubishi), PSM (Porsche), VDC (Alfa Romeo, Subaru), VSA (Honda), VSC (Toyota, Lexus).