Eugen Künzi, manche Leute schütteln den Kopf, wenn sie hören, dass Sie mit 85 noch Gleitschirm fliegen.
Es kümmert mich nicht, was die Leute sagen. Das Gleitschirmfliegen tut mir gut. Ich hoffe, dass ich noch ein paar Jahre fliegen kann. Dieser Sport ist so schön, dass ich ihn fast nicht loslassen kann.
Warum haben Sie diesen Sport gewählt?
In der Luft fühle ich mich glücklich und frei. Ich kann alle Sorgen hinter mir lassen. Vor zwei Jahren flog ich von Grindelwald-First bis auf eine Höhe von 4200 Metern – 200 Meter über dem Eiger. Weiter hinauf ging es nicht mehr. Das war einer meiner schönsten Flüge. Solche Erlebnisse sind unvergesslich.
Sind Sie noch fit genug?
Ich mache jeden Tag Krafttraining. Beim Start muss ich den Schirm in die Luft ziehen. Dafür braucht man Kraft in den Armen. Ich bewege mich auch jeden Tag zwei Stunden an der frischen Luft.
Warum können Sie im hohen Alter noch fliegen?
Ein Stück weit habe ich Glück gehabt, dass ich gesund bin. Dennoch spüre ich meine biologischen Grenzen. Ich mache heute nicht mehr die gleichen Sachen wie früher.
Was machen Sie heute anders?
Als ich jünger war, machte ich oft Bergtouren: Ich wanderte auf den Titlis oder auf den Allalin und flog dann hinunter. Heute fahre ich mit der Bahn und steige dann noch eine Stunde weiter hinauf zum Startplatz. Und ich bin vorsichtiger geworden: Ich fliege nur noch, wenn das Wetter optimal ist.
Ihr Hobby ist nicht ungefährlich. Jedes Jahr verunfallen Gleitschirmflieger. Haben Sie keine Angst, abzustürzen?
Ich bin einmal abgestürzt. Das passierte vor elf Jahren in Grindelwald. Ich bremste beim Landen zu stark ab und stürzte aus rund zehn Metern Höhe auf den Boden.
Waren Sie verletzt?
Es ging glimpflich ab. Ein paar Rippen brachen und ein Schulterblatt war angerissen. Zudem hatte ich eine leichte Hirnerschütterung.
Was sagte Ihre Frau dazu?
Sie erschrak, als ich im Spital war. Meine Frau ist jedes Mal erleichtert, wenn ich nach einem Flug gesund heimkomme.
Viele Menschen träumen schon als Kind davon, zu fliegen.
Als Kind hatte ich keine solchen Träume. Ich wuchs als Verdingbub auf und musste auf einem Bauernhof hart arbeiten. Da gab es keinen Platz für Träume.
Hat das Fliegen etwas mit Ihrer schweren Kindheit zu tun?
Ja. Das Fliegen half mir, meine Kindheit zu verarbeiten. Es hat mein Selbstvertrauen gestärkt.
Zur Person: Eugen Künzi
Der 85-Jährige arbeitete bis zur Pensionierung als Heizungsmonteur. Als er mit seiner Frau in Engelberg OW Ferien machte, probierte er das Gleitschirmfliegen und kam auf den Geschmack. Bis heute hat er über 2000 Flüge absolviert. Künzi wohnt mit seiner Frau in Würenlingen AG.