«Ich erbreche fast jeden Tag»
Essstörungen machen Angehörigen und auch den Betroffenen grosse Sorgen. Dies zeigte das Beratungstelefon des Gesundheitstipp. Nicht umsonst: Essstörungen können lebensgefährlich sein.
Inhalt
Gesundheitstipp 12/2006
06.12.2006
Aufgezeichnet: Tobias Frey
Kann man daran sterben?
Meine 14-jährige Enkelin hat Ess-Brech-Sucht und macht eine Therapie. Jetzt hat sie gelesen, sie könne sterben. Stimmt das?
Ja, das stimmt. Essstörungen sind die tödlichsten aller psychischen Krankheiten: Rund jede zwölfte Betroffene stirbt an den Folgen einer Essstörung. Durch Ess-Brech-Sucht können Organe, zum Beispiel die Leber, das Herz und die Nieren, schwere Schäden davontragen. Die Prognose für Ihre Enkelin scheint aber eher günstig zu sein,...
Kann man daran sterben?
Meine 14-jährige Enkelin hat Ess-Brech-Sucht und macht eine Therapie. Jetzt hat sie gelesen, sie könne sterben. Stimmt das?
Ja, das stimmt. Essstörungen sind die tödlichsten aller psychischen Krankheiten: Rund jede zwölfte Betroffene stirbt an den Folgen einer Essstörung. Durch Ess-Brech-Sucht können Organe, zum Beispiel die Leber, das Herz und die Nieren, schwere Schäden davontragen. Die Prognose für Ihre Enkelin scheint aber eher günstig zu sein, denn sie informiert sich und geht ja bereits in eine Therapie. Das zeigt, dass Ihre Enkelin die Krankheit bekämpfen will.
Erika Toman Psychologin, Zentrum für Essstörungen und Adipositas, ZH
Acht Jahre Therapie - ohne Erfolg
Ich bin 26 Jahre alt und leide seit 15 Jahren an einer Essstörung. Zeitweise erbreche ich fast jeden Tag. Seit acht Jahren gehe ich einmal pro Monat zu einem Psychiater in die Therapie. Er geht nun in Pension. Was soll ich tun?
Sie leiden seit langer Zeit an einer schweren Essstörung. Offensichtlich konnte Ihnen die Therapie nicht genügend helfen. Ich empfehle Ihnen, einen Aufenthalt in einer Klinik in Betracht zu ziehen. Ist dies nicht möglich, könnte Ihnen eine intensivere Psychotherapie und zusätzlich eine Ernährungsberatung helfen.
Remo Nuotclà Facharzt Psychiatrie/ Psychotherapie, BS
Soll ich sie zur Rede stellen?
Die Freundin meines 19-jährigen Sohnes verschlingt immer wieder grosse Mengen und erbricht dann. Wenn sie bei uns zu Besuch ist, leugnet sie das Erbrechen. Soll ich sie zur Rede stellen?
Nein, das würde ich Ihnen nicht empfehlen. Es ist anzunehmen, dass bereits die Eltern der jungen Frau und andere Bezugspersonen mit ihr darüber sprechen. Betroffene reagieren schlecht, wenn man zu viel auf ihrer Essstörung herumhackt oder sie gar kontrolliert. Das Risiko besteht, dass sich die Freundin Ihres Sohnes zurückzieht.
Ist die Pille noch sicher?
Ich habe Ess-Brech-Sucht und verhüte mit der Antibabypille. Kann ich mich noch auf sie verlassen?
Nein. Mit dem Erbrechen können Sie den Wirkstoff der Pille mit erbrechen. Sie sollten deshalb eine andere Verhütungsmethode wählen. Besprechen Sie sich mit Ihrer Frauenärztin. Wenn Sie die Pille unbedingt weiterhin nehmen wollen, dann sollten zwischen Pilleneinnahme und Erbrechen einige Stunden vergehen. Sie können die Pille zum Beispiel am Morgen nehmen und abends erbrechen oder umgekehrt.
Bettina Isenschmid Fachärztin, Sprechstunde Essstörungen, Psychiatrische Poliklinik, BE
Meine Tochter geht nachts hinter den Kühlschrank
Meine Tochter ist 29 Jahre alt und geht nachts oft hinter den Kühlschrank. Obwohl sie normalgewichtig ist, belastet sie das. Ich will ihr helfen, bin aber am Anschlag. Sie sagt, ich sei mitschuldig.
Nächtliches Essen ist eine spezielle Form der Essstörung. Suchen Sie mit Ihrer Tochter eine Beratungsstelle oder einen Facharzt auf. Das wäre vielleicht ein gute Motivation für Ihre Tochter: Sie würden sich an der Therapie beteiligen. Gleichzeitig könnten Sie die Verantwortung mit dem Therapeuten teilen. So wären Sie auch nicht mehr am Anschlag.
Habe ich eine Essstörung?
Ich bin 23 Jahre alt und esse seit einem Jahr nicht mehr regelmässig. Manchmal esse ich bis zu drei Tage lang nichts. Ich bin 57 kg schwer und 1,63 m gross. Ich möchte meinen Bauch loswerden. Mindestens zweimal am Tag denke ich über meine Figur nach. Ich bin auch neidisch auf meine schlanken Freundinnen. Wenn ich Geld hätte, würde ich Fett absaugen lassen. Habe ich eine Essstörung?
Essen und Ihre Figur beschäftigt Sie offensichtlich oft und stark. Vielleicht lehnen Sie Ihren Körper stellvertretend für Unzufriedenheiten in anderen Lebensbereichen ab. Versuchen Sie herauszu?nden, was Sie in Ihrem Leben stört und verunsichert. Ich empfehle Ihnen, sich auch mit einer Fachperson zu unterhalten.
Beatrice Büttner Meier Psychologin, Psychiatrische Poliklinik, Zentrum für Essstörungen, ZH
Ist Flüssignahrung sinnvoll?
Meine Tochter hat starkes Untergewicht. Ist flüssige Zusatznahrung ein gutes Mittel, um wieder zuzunehmen?
Ja, flüssige Nahrung erleichtert das Zunehmen. Viele Patienten und Patientinnen bekommen rasch ein Völlegefühl. Mit flüssiger Zusatznahrung kann man viele Kalorien aufnehmen, ohne grosse Mengen zu essen.
Hanspeter Flury Facharzt, Zentrum für Essstörungen und Adipositas, ZH
Meine Tochter wiegt noch 45 Kilo
Meine Tochter ist 16 Jahre alt und betreibt Handball auf höchstem Niveau. Wir sind sehr stolz auf sie. Sie trainiert drei- bis viermal in der Woche. Dazu kommen die Spiele am Wochenende. Unsere Tocher ist 1,61 m gross und wiegt nur noch 45 kg. Sie hat keine Mens mehr und geht dem Essen aus dem Weg. Was kann ich tun?
Versuchen Sie herauszu?nden, warum Ihre Tochter abmagert. Steht sie unter Druck von Verantwortlichen beim Club? Oder fühlt sie sich unter Druck gesetzt von Ihrem sportlichen Ehrgeiz? Sprechen Sie mit dem Trainer. Setzen Sie Ihre Tochter nicht unter sportlichen Erfolgszwang, sondern fördern Sie auch andere Lebensbereiche Ihrer Tochter.
Setzen Sie Ihrer Tochter eine Gewichts-Limite von 45 Kilogramm. Kündigen Sie an, Hilfe zu holen, wenn sie die Limite unterschreitet. Ihre Tochter sollte eine Ernährungsberatung aufsuchen, die unabhängig ist von ihrem sportlichen Umfeld. Lassen Sie die Mens-Störungen Ihrer Tochter abklären. Suchen Sie mit ihr eine psychologische Beratung auf.
Adressen von Therapeuten und Ernährungsberatungen:
- Arbeitsgemeinschaft Essstörungen, Zürich. Tel. 043 488 63 73,
beratung@aes.ch, www.aes.ch,
- www.netzwerk-essstoerungen.ch