Es ist klein, gelb und sieht aus wie ein Ohrstöpsel. Doch der Hersteller spricht von einer «Weltneuheit», einer «technologischen Revolution». Die Rede ist von Lyric, einem neuen Hörgerät der Firma Phonak. Seine Besonderheit: Das Teilchen bleibt während etwa vier Monaten tief im Gehörgang. Der wöchentliche Batteriewechsel sowie das tägliche Reinigen und Einsetzen entfallen. Lyric sei deshalb eine «ganz neue Kategorie von Hörgerät», heisst es beim Hersteller. Das Gerät erfülle den Traum vom unsichtbaren Hörgerät.
Ein teurer Traum: Da das Hörgerät alle vier Monate ausgewechselt werden muss, kann man es nur im Abonnement beziehen. Kosten pro Monat und Ohr: rund 170 Franken. Aufs Jahr gerechnet macht das 2040 Franken.
Der Trend ist klar: So klein wie möglich sollen die Hörhilfen sein. Zahlreiche Hightech-Modelle sind auf dem Markt. Viele Hörgeräte können Sprache und Lärm unterscheiden, Musik erkennen und lassen sich mittels Bluetooth mit dem Handy verbinden.
Einfach ist die Wahl für den Kunden nicht: Aus dem riesigen Angebot gilt es, das richtige Gerät für sich persönlich zu finden. Denn jeder hört anders, und jedes Ohr ist anders. Doch kleinere Geräte sind häufig nicht unbedingt besser: Hörgeräte, die im Ohr sitzen – also in der Ohrmuschel oder im Gehörgang –, lassen einen oft auch den eigenen Körperschall hören, wie Schluck- und Kaugeräusche. Hinzu kommt: Wegen des Geräts kann das Ohr oft nicht ausreichend belüftet werden. Es droht ein Wärmestau. René Hänni, Hörgeräte-Akustiker aus Basel, sagt deshalb: «Für einen Menschen mit einem engen Gehörgang eignet sich eher ein Gerät hinter dem Ohr.»
Die Anpassung des Geräts kann bis zu zwölf Monate dauern
Welches Gerät für wen in Frage kommt, hängt davon ab, wie stark die Schädigung des Gehörs ist und welche Funktionen das Gerät haben soll (siehe auch Tabelle rechts unten). Norbert Dillier, Hörforscher am Universitätsspital Zürich, sagt: «Besonders Patienten mit mittel- und hochgradigen Hörschäden haben einen Nutzen von der hoch entwickelten Technologie.» Für Menschen mit leichteren Hörproblemen reiche häufig ein einfaches und kostengünstigeres Gerät.
Das richtige Hörgerät zu finden und es danach anzupassen, ist oft eine langwierige Sache: «Es kann bis zwölf Monate dauern, bis man sich an den neuen Klang gewöhnt hat», sagt Claudia Bisagno von Pro Audito Schweiz, der Organisation für Menschen mit Hörproblemen. Unerlässlich sei dabei eine gute Zusammenarbeit mit dem Akustiker. Man müsse ihm offen sagen, wenn man Mühe mit einem Gerät habe und die Einstellungen noch geändert werden müssen.
Wichtig sind dabei auch die Kosten: Seit diesem Juli vergütet die Invalidenversicherung (IV) für Hörgeräte deutlich weniger. Sie bezahlt für ein Hörgerät pauschal 840 Franken, für zwei Hörgeräte 1650 Franken – dies alle sechs Jahre. Hinzu kommt ein Pauschalbetrag von 40 Franken pro Jahr und Hörgerät für die Batterien.
Die Patientenstelle SPO und Pro Audito raten deshalb: Die Preise der Geräte und der Anpassungen bei den Akustikern sollte man unbedingt vergleichen.
«Als Hörbehinderter darf man sich nicht ausschliessen lassen»
Hanna Rutishauser aus St. Gallen hat die rasante technische Entwicklung der letzten Jahre hautnah miterlebt: Die 32-Jährige trägt ein Hörgerät, seit sie zehn Jahre alt ist. Ohne Gerät hört sie die hohen Töne nicht: Wecker, Telefon und Türglocke klingeln häufig ins Leere. In Unterhaltungen erfasst sie nicht alle Silben.
Als Kind habe sie ein grosses Hörgerät hinter dem rechten Ohr tragen müssen, erzählt sie. «Das war nicht lustig.» Heute trägt sie eines im Ohr. Hanna Rutishauser hat sich an ihr Hörgerät gewöhnt. «Es gehört ganz selbstverständlich zu mir», sagt sie.
Sie habe gelernt, mit ihrer Hörschwäche umzugehen: Hanna Rutishauser setzt sich automatisch so an einen Tisch, dass ihr besser hörendes Ohr näher am Geschehen ist. Versteht sie in einer Runde das Gesagte mal nicht, macht sie die anderen darauf aufmerksam – und bittet diese, es zu wiederholen. «Man darf nicht resignieren und sich ausschliessen lassen», sagt sie.
Noch immer zögern viele Menschen, ihr Gehör abklären zu lassen. Doch je früher ein Hörschaden festgestellt wird und Betroffene ein Hörgerät erhalten, desto besser sind die Aussichten, den Hörverlust zu korrigieren. Andernfalls besteht laut Claudia Bisagno die Gefahr, dass das Gehirn die Fähigkeit verliert, Töne und Geräusche zu verarbeiten.
Tipps: Abklärung unbedingt vor dem AHV-Alter
Das müssen Sie beim Kauf eines Hörgerätes beachten:
- Testen Sie mehrere Hörgeräte in unterschiedlichen Alltagssituationen.
- Das Hörgerät soll kompatibel sein mit Spezialtelefonen.
- Lassen Sie sich vor dem AHV-Alter auf Hörprobleme abklären: Die IV bietet grössere finanzielle Unterstützung für Gerät und Abklärung als danach die AHV.
- Die Zusatzversicherung der Krankenkasse bezahlt allenfalls einen Beitrag. Fragen Sie nach.
- Spezielle Wecker, Telefonhörer und Höranlagen können das Hören entscheidend verbessern.
- Kostenlose Beratung für Menschen mit Hörproblemen: Pro Audito Schweiz, Feldeggstrasse 69, 8032 Zürich, Tel. 044 363 12 00, www.pro-audito.ch
Tipps für Angehörige:
- Reden Sie deutlich und in normalem Tempo.
- Schauen Sie Ihr Gegenüber immer an.