«Gut gehütetes Geheimnis»
Inhalt
Gesundheitstipp 1/2000
01.01.2000
Chefarzt Oswald Oelz über unheilige Allianzen von Industrie und Ärzteschaft
Oswald Oelz, Chefarzt des Zürcher Stadtspitals Triemli, über unverblümte Industriepropaganda und sonntägliche Fernsehdoktoren.
Der Kontakt zwischen Ärzten und Pharmaindustrie beginnt früh. Der junge Assistenzarzt erlebt dies zunächst, wenn ein immer gut gekleideter Ärztebesucher zu ihm kommt, den Herrn Doktor berät und mit Kugelschreibern, Notizblöcken und Vitamin-Tabletten verso...
Chefarzt Oswald Oelz über unheilige Allianzen von Industrie und Ärzteschaft
Oswald Oelz, Chefarzt des Zürcher Stadtspitals Triemli, über unverblümte Industriepropaganda und sonntägliche Fernsehdoktoren.
Der Kontakt zwischen Ärzten und Pharmaindustrie beginnt früh. Der junge Assistenzarzt erlebt dies zunächst, wenn ein immer gut gekleideter Ärztebesucher zu ihm kommt, den Herrn Doktor berät und mit Kugelschreibern, Notizblöcken und Vitamin-Tabletten versorgt.
Selbstverständlich gibt der Pharmavertreter auch die nebenwirkungsfreiesten Entzündungshemmer ab, damit der junge Arzt seine persönlichen Erfahrungen machen kann. Zweck dieser früh einsetzenden Propaganda ist natürlich, den Gewinn der betreffenden Firma zu optimieren - ein in unserem Gesellschaftssystem durchaus ehrenwertes und nicht unbedingt unmoralisches Verhalten.
Fliegt man dann den Assistenzarzt oder den frisch gebackenen Oberarzt zu einem Kongress, geniesst der Umworbene seine zunehmende Bedeutung. Beim Abendessen im exklusiven Restaurant der europäischen oder gar kalifornischen Metropole wird ihm die Überlegenheit des vorgestellten Cholesterinsenkers oder des Superaspirins endgültig klar.
Diese aufwendigen Methoden ergänzt neuerdings der Fernsehdoktor sonntagabends - unter Einschluss der lieben Patienten und Patientinnen und jener, die es noch werden könnten. Die unverblümte Industriepropaganda in derlei Sendungen hat erstaunlicherweise noch keine eidgenössische oder andere Kontrollstelle auf den Plan gerufen, die das Treiben stoppen wollte.
Wer Akteure im Fernsehen bezahlt, ist nicht bekannt
Unterstützt wird der Fernsehdoktor zum Beispiel vom Abmagerungsexperten einer Privatspitäler-Gruppe, der die magere Wirkung des Abmagerungsmittels mediengerecht aufbessert. Und zwar indem er in die Jahre und ins Fett gekommene Schweizer Prominente zu ihren Erfahrungen befragt. Ganz nebenbei kann man vor laufender Kamera auch noch für weitere nicht benötigte Leistungen wie Check-ups die Trommel schlagen. Ein Hinweis, wer all diese Akteure bezahlt, fehlt.
Wissenschaftliche Kapazitäten sind Meinungsbildner, ihr Wort hat besonderes Gewicht. Wenn ein solcher Mann in einer 15-minütigen Rede an einem Kongress dreimal eine Studie mit Cholesterinsenkern erwähnt - und mit keinem Wort darauf eingeht, wie mediterrane Ernährung oder Sport Herzkrankheiten vorbeugen können -, so ist man wirklich geneigt zu glauben, dass Cholesterinsenker der Weisheit letzter Schluss sind. Im privaten Gespräch erwähnt derselbe dann, dass der Cholesterinsenker-Markt in den USA im Jahr 2001 auf 16 Milliarden Dollar anwachsen wird. Dass mehrere Firmen die Dozenten seines Kurses an der Harvard-Universität unterstützt haben, findet man in der entsprechenden Broschüre.
Dies offen zu legen ist auch in den USA nicht gang und gäbe. Kanadische Wissenschaftler untersuchten mögliche Interessenskonflikte von Ärzten, die Studien über Kalzium-Antagonisten (Blutdrucksenker) veröffentlichten. Sie fragten die Autoren von 70 Studien nach Beziehungen zur Pharmaindustrie: Unterstützung für Kongressbesuche (wobei festzuhalten ist, dass Meinungsbildner kaum in der Touristen-Klasse fliegen und auch nicht in Jugendherbergen absteigen), Honorare für Referate und so weiter.
Finanzielle Beziehungen beeinflussen Forscher
Bei der Gruppe der Autoren, die Kalzium-Antagonisten positiv beurteilten, hatten 96 Prozent finanzielle Beziehungen zur Industrie, bei den neutralen waren es 60 Prozent und bei den kritischen Autoren 37 Prozent. Die Resultate demonstrieren also eine ausgeprägte Assoziation zwischen den Überzeugungen der Autoren und ihren finanziellen Beziehungen zur Pharmaindustrie.
Wir haben keinerlei Informationen über die Beziehungen unserer Meinungsbildner zur pharmazeutischen Industrie; dies ist ein gut gehüteter Geheimniskomplex.
Einige Beispiele der letzten Zeit sollen aber zeigen, dass möglicherweise auch hierzulande solche Beziehungen bestehen:
- Praktiker und Kliniken machen eifrig mit, wirksame Medikamente noch einmal zu testen. Dies wird dann mit Reisen nach Korfu und Kopfprämien pro Patient belohnt.
- Die Pharmaindustrie gibt zum Teil grosse Mengen von Ärztemustern mit Prämien pro Patient ab, wie zum Beispiel an der Psychiatrischen Uniklinik Bern geschehen: Eine klare Aufforderung, ab sofort nur noch ein neues Antidepressivum zu verschreiben, wurde unlängst aufgedeckt.
- Schliesslich ist uns vor kurzem in einer der vielen Propagandazeitungen die Aussage eines Herzspezialisten des Universitätsspitals Zürich ins Büro geflattert: «Wir verordnen allen Infarktpatienten Cholesterinsenker - unabhängig von ihren Lipidwerten (Blutfettwerten).» Diese Aussage steht in klarem Gegensatz zu den Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie.
Unappetitlich ist, dass man darüber nicht redet
Es gibt somit begründeten Verdacht, dass weltweit und auch in der Schweiz die geschickte Motivationsarbeit der pharmazeutischen Industrie den Medikamentenverbrauch anhebt. Dies ist der Industrie nicht vorzuwerfen. Unappetitlich daran ist, dass darüber nicht geredet wird und keinerlei Vorschriften bestehen.
Auch sind die zum Mehrverbrauch motivierenden Empfehlungen und Vorträge nicht genügend als von der Industrie unterstützte Propaganda erkennbar. Richtlinien wären also dringend gefragt, auf dass wir künftig zumindest lesen können: "Interessenskonflikte: Dr. XY hat Honorare für Vorträge und Fortbildungen von pharmazeutischen Firmen bekommen, die Cholesterinsenker vertreiben."
Quelle: Schweizerische Ärztezeitung, gekürzte Fassung