Oui, c’est moi», antwortet die Putzfrau, als der vorsitzende Richter sie nach ihrem Namen fragt. Den Gerichtssaal kennt die 38-Jährige gut – aber nur von aussen. Früher reinigte sie hier die Fenster und die Fassade. Vier Jahre lang arbeitete sie für ein Putzunternehmen, das sich mit günstigen Offerten etliche Reinigungsaufträge von Verwaltungen und Unternehmen ergattert hatte. Diese hatten die Putzarbeiten ausgelagert, um Geld zu sparen. Im Team reinigte die Frau Büros, Autohäuser, Botschaften und die Filialen einer Modekette.
So flink die Frau mit Reinigungsgeräten umzugehen weiss, so verloren steht sie im Gerichtssaal vor den drei Richtern. Die Portugiesin versteht fast kein Wort, die Verhandlungssprache ist ihr fremd. Sie wohnt in Fribourg und spricht Französisch. Die Klage musste sie im deutschsprachigen Bern einreichen, wo die Reinigungsfirma ihren Sitz hat. Ein zweisprachiger Nachbar begleitet sie, um ihr beizustehen.
Er erklärt dem Gericht, wie sich ihre Forderung von 6700 Franken zusammensetzt. 400 Franken entfallen auf eine selbst bezahlte Arztrechnung für die Behandlung einer Wunde, die sie sich bei der Arbeit zugezogen hatte. Beim Rest geht es um Lohnzahlungen für die Zeit, in der sie krank war.
Als ihr Chef von der Schwangerschaft der Putzfrau erfuhr, teilte er sie zum Treppenreinigen um. Dabei machte ihr der schwere Staubsauger zu schaffen. Die Gynäkologin schrieb die Frau im sechsten Monat krank. Ab diesem Zeitpunkt erhielt die Angestellte noch 80 Prozent des Lohns, sechs Wochen später keinen Rappen mehr. Dabei ist die Reinigungsbranche zur Lohnfortzahlung für zwei Jahre verpflichtet.
Nach vier Jahren Anstellung nicht einmal eine Kündigung erhalten
Der Arbeitgeber hielt es nicht für nötig, zur Verhandlung zu kommen. Er schrieb bloss einen kurzen Brief. Inhalt: Sein Unternehmen habe die Aktivitäten eingestellt und kein Geld mehr.
Der vorsitzende Richter fragt die Putzfrau, ob sie die Klage angesichts dieses Sachverhalts nicht zurückziehen wolle. Bei diesem Unternehmen sei ohnehin nichts mehr zu holen. Doch sie hält an ihrer Forderung fest. Viel verlangt sie nicht: 114 Franken pro Tag für den Lohnausfall bis zum Tag, an dem die Leistungen der Mutterschaftsversicherung einsetzten, plus 1000 Franken für den anteilsmässigen 13. Monatslohn.
«Geld werden Sie wohl keines sehen», sagt der Richter. Demnächst werde der Konkurs über die Firma eröffnet und das Verfahren voraussichtlich mangels Aktiven eingestellt.
Tapfer nickt die Mutter von zwei Kindern. Zurzeit ist sie arbeitslos und kommt als Alleinerziehende mit Hilfe des Sozialamts über die Runden. Was ihr bleibt, ist die Hoffnung auf ein Stück Gerechtigkeit. Sie habe weder eine Kündigung erhalten noch ein Arbeitszeugnis für die vier Jahre ihrer Tätigkeit. Auch ein solches Zeugnis wolle sie nun einfordern.
Sogar die Hoffnung auf ein Arbeitszeugnis zerschlägt sich
Aus dem Dossier des Nachbarn geht hervor, dass die Geschäfte der Putzfirma unter dem praktisch identischen Namen einer Auffanggesellschaft weiterlaufen. Telefonnummer und Website sind dieselben. Doch der Richter winkt ab. «Wir können den Arbeitgeber nur unter Strafandrohung verpflichten, ein Zeugnis auszustellen», doch das werde wegen des Konkurses wohl nichts bringen, mutmasst er. Ob sie unter diesen Umständen nicht auf das Arbeitszeugnis verzichten wolle? Die Putzfrau nickt und schluckt leer. Schliesslich will sie die Herren Richter nicht verärgern, indem sie ihnen zusätzlich Arbeit bereitet.
Nach einer Pause verkündet der Vorsitzende das Urteil. Die Klage wird im Umfang von gut 5700 Franken gutgeheissen. «Sie haben alles erhalten, was Sie fordern», sagt der Richter zur Klägerin. Die Differenz von 1000 Franken zur geforderten Summe erläutert er nicht. Das spielt auch kaum eine Rolle. Denn es scheint, als sei das Geld tatsächlich verloren. Acht Tage später wird über das Reinigungsunternehmen der Konkurs eröffnet.
Prozessieren: Bei Konkurs hilft die Insolvenzentschädigung
Fällt eine der beiden Parteien eines Zivilprozesses in Konkurs, wird das Verfahren in der Regel eingestellt. Die Geldforderungen können dann aber trotzdem beim Konkursamt angemeldet werden. Forderungen aus Arbeitsverhältnissen sind privilegiert und werden zuerst beglichen, wenn sie berechtigt sind und das Unternehmen noch über Geld verfügt.
Wenn bei einem konkursiten Unternehmen aber nichts mehr zu holen ist, wird es für die Gläubiger aussichtslos. Ausnahme: Die Angestellten erhalten Geld aus der Arbeitslosenversicherung. Sie haben Anspruch auf die sogenannte Insolvenzentschädigung. Diese deckt die letzten vier Monatslöhne des Arbeitsverhältnisses. Nicht gedeckt sind allfällige Lohnansprüche für die Zeit nach der Konkurseröffnung, auch wenn die Kündiungsfrist über das Konkursdatum hinausläuft. Dann aber kommt der Anspruch auf Arbeitslosentaggelder zum Tragen.