Der Mann atmet schwer. «Mir ist schwindlig», sagt der 75-Jährige. Die Ampel an der Kreuzung Rämistrasse / Stadelhoferstrasse in Zürich stand schon auf Rot, als er noch immer auf dem Fussgängerstreifen unterwegs war – eine typische Szene auf Schweizer Strassen.
Dominik Bucheli vom Verein Fussverkehr Schweiz kennt das Problem: «Viele Ampeln sind zu kurz geschaltet. Deshalb schaffen die Fussgänger es nicht, die Strasse bei Grün und Gelb zu überqueren. Das kann zu gefährlichen Situationen führen.» Die Norm des Schweizerischen Verbands der Strassen- und Verkehrsfachleute für Lichtsignalanlagen – sie wurde vom Bund für verbindlich erklärt – besagt: Wer mit einer Geschwindigkeit von 1,2 Metern pro Sekunde (m/s) läuft, muss mindestens zwei Drittel des Fussgängerstreifens während der Grünphase überqueren können. Für das letzte Drittel muss die Gelbphase reichen.
Augenschein des K-Tipp an der Kreuzung Rämistrasse / Stadelhoferstrasse in Zürich: Die Ampel ist gemäss Norm geschaltet. Bei 40 von 50 Fussgängern ist sie bereits rot, wenn sie noch auf der Strasse sind. Wären die Fussgänger, wie von Fussverkehr Schweiz gefordert, mit nur 0,8 m/s unterwegs, müsste die Ampel rund fünf Sekunden länger auf Gelb stehen.
5 von 50 rechtzeitig über der Strasse
Am Fussgängerstreifen bei der Sihlbrücke in Zürich zwischen Hotel Helvetia und Restaurant Helvti Diner ist die Ampel so geschaltet, dass man mit rund 1,1 m/s unterwegs sein muss, um noch bei Gelb die andere Strassenseite zu erreichen. Von 50 vom K-Tipp beobachteten Passanten schafften es nur 5 rechtzeitig über den ganzen Streifen.
Dies wird sich erst ab 2025 ändern. Dann müssen alle Schweizer Ampeln so geschaltet sein, dass auch Leute, die nur mit 0,8 m/s laufen, die Strasse überqueren können. Dominik Bucheli fordert von den Behörden, dass zumindest bei längeren Fussgängerstreifen möglichst rasch mit einer Laufgeschwindigkeit von nur 0,8 m/s gerechnet wird.
Doch das Bundesamt für Strassen winkt ab: «Dazu braucht es eine lange Übergangsfrist. Man kann nicht einfach einen Knopf drücken, und die Ampel ist umprogrammiert. Es handelt sich um komplexe Situationen, wobei oft ganze Kreuzungen betroffen sind.»
Umfrage bei Fussgängern: «Ich habe Angst»
Die Kommentare der vom K-Tipp befragten Fussgänger zu den kurzen Grünphasen sind eindeutig. Zwei Mütter mit Kinderwagen ärgern sich: «Die Ampel ist viel zu kurz auf Grün gestellt. Das ist stressig. Wir kommen immer erst bei Rot auf der anderen Seite an.» Eine Rentnerin sagt: «Wenn ich bei Rot noch auf dem Streifen bin, habe ich Angst.» Auch Schüler sagen: «Oft müssen wir spurten, um rechtzeitig auf der anderen Seite zu sein.»
Joos Bernhard, Leiter Verkehrsmanagement der Stadt Zürich, erklärt, neue Ampeln würden auf eine Laufgeschwindigkeit von 0,8 m/s ausgerichtet. «1,2 m/s ist wirklich sehr zügig.» In Zürich gibt es rund 1400 Fussgängerstreifen mit Ampeln. Laut Bernhard ist aber nicht in Gefahr, wer erst bei Rot die andere Strassenseite erreicht: «Die Autos dürfen nicht gleich losfahren, es ist eine Schutzzeit eingerechnet.»
Übrigens: Dank Kritik aus der Bevölkerung wurden in Zürich schon einige Grünphasen verlängert. «Wir machen das, wenn sensible Gruppen wie Schüler, Kindergartenkinder oder Altersheimbewohner betroffen sind», so Bernhard. Für diese gibt es eine spezielle Drück-Abfolge, mit der sie die Ampel bedienen können, um die Grünphase zu verlängern. Auch in Basel, Bern und St. Gallen erreichten Proteste, dass Fussgängerampeln länger auf Grün stehen.