Agnes Kaderli hat schon zehn Computertomografien (CT) hinter sich. 2004 hatten die Ärzte bei ihr Krebs an den Eierstöcken festgestellt. Es folgten eine Operation, Chemotherapie und nach Jahren ein Rückfall. «Und jedes Mal machten die Ärzte ein CT, manchmal auch mehrere hintereinander», sagt die heute 59-Jährige aus Schaffhausen.
Wenn sie wegen der Röntgenstrahlen Bedenken äusserte, wiegelten die Ärzte ab: «Immer wieder sagten sie mir, das verursache nicht mehr Strahlen als ein Flug nach New York.»
«Müssen es so viele Aufnahmen sein?»
Doch das stimmt nicht: Ein Flug über den Atlantik belastet den Körper mit 0,04 bis 0,09 Millisievert. Beim Bauch-CT dagegen sind es 10 bis 25 Millisievert, also mehr als das Hundertfache. Dies die Angaben verschiedener Schweizer Spitäler. Zum Vergleich: Menschen, die in einem Atomkraftwerk arbeiten, dürfen höchstens einer Dosis von 20 Millisievert ausgesetzt sein – und zwar in einem ganzen Jahr.
Agnes Kaderli betont, sie wolle die Computertomografie nicht verteufeln. Gerade bei Krebs sei es bestimmt wichtig, dass die Ärzte sehen könnten, ob ein Tumor gewachsen sei. «Aber müssen es gleich so viele CT sein?»
Tatsache ist: Ärzte schicken Patienten immer öfter in die Röhre. Von 1998 bis 2008 hat sich in der Schweiz die Zahl der Tomografien mehr als verdoppelt (Gesundheitstipp 7/12). Bedenklich: Dieser Untersuch belastet den Körper mit viel mehr Strahlung als einfaches Röntgen. Die Dosis einer Computertomografie des Bauchs ist bis zu 20-mal so hoch wie beim Röntgen.
Jetzt zeigt eine neue Studie: Das müsste nicht sein. Ärzte können einen Tomografen auch so betreiben, dass er viel weniger strahlt, ohne dass dies medizinische Nachteile bringt.
Die südkoreanischen Forscher der Universität Seoul machten ihre Studie mit 900 Patienten, bei denen der Arzt einen entzündeten Blinddarm vermutete und deswegen ein CT anordnete. Bei einem Teil der Patienten stellten sie den Tomografen so ein, dass er nur ein Viertel der Strahlung abgab. Zwar wird dadurch das Bild schlechter, weil mehr Störsignale auftreten – Fachleute sprechen von «Rauschen». Doch die im renommierten «New England Journal of Medicine» publizierte Studie zeigt: Auf den weniger perfekten Bildern konnten die Ärzte eine Blinddarmentzündung gleich gut erkennen.
Strahlungsdosis: Grosse Unterschiede
Eine Schweizer Studie zeigt: Längst nicht alle Spitäler setzen auf niedrig dosierte Tomografien. Forscher der Uni Lausanne werteten die Daten aller zehn Kliniken aus, die CT an Kindern durchführen. Die Unterschiede waren gewaltig, etwa in der Altersgruppe der 10- bis 15-Jährigen: Während ein Spital die Kinder beim Bauch-CT mit 18 Millisievert bestrahlte, kam ein anderes mit 4,5 aus. Noch grösser waren die Unterschiede bei den Kopf-CT: Ein Spital brauchte 85 Millisievert, ein anderes bloss 14.
Das Unispital Zürich ist eines der Zentren, die wenig Strahlung einsetzen. Hatem Alkadhi, leitender Röntgenarzt: «Wir wenden unterdessen bei rund drei von vier Patienten ein Niedrigdosis-Verfahren an.» Nur bei übergewichtigen Menschen brauche es meist die volle Strahlung, um ein verwertbares Bild zu erhalten. Die Technik habe sich rasant weiterentwickelt, so Alkadhi. Neue Geräte hätten spezielle Computerprogramme, die das «Rauschen» herausfiltern können. «Das Unispital ist privilegiert, weil wir oft die neuesten Geräte haben.»
Die Technik ist das eine. Doch es brauche auch ein Umdenken der Ärzte, so Alkadhi: Viele hätten das Ziel, stets perfekte Bilder zu liefern. «Doch das braucht es oft gar nicht.» Gerade bei Patienten unter 40, so der Fachmann, sollte das oberste Ziel sein, die Strahlenbelastung des Körpers so gering wie möglich zu halten.