Der Begriff Versicherungsvertragsgesetz (VVG) klingt sperrig, betrifft aber jeden: Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1908 und regelt die Beziehung zwischen Versicherungen und ihren Kunden – zum Beispiel bei Lebens-, Hausrat-, Auto- und Krankenzusatzversicherungen.
Das Parlament arbeitet gerade an der Revision des über hundertjährigen Gesetzes. Anfang Mai wird es im Nationalrat behandelt.
Die Versicherten dürften sich darüber kaum freuen: Ihre Stellung soll nicht, wie ursprünglich vom Bundesrat geplant, verbessert, sondern in wichtigen Punkten verschlechtert werden:
Künftig sollen Versicherungen die Verträge jederzeit nach ihrem Gutdünken abändern können. Die Versicherten müssen lediglich darüber informiert werden. Laut Stephan Fuhrer, Professor für Privatversicherungsrecht an der Universität Freiburg, kann das dramatische Folgen haben: «Ein Krankenversicherer könnte etwa beschliessen, ein teures neues Medikament nicht mehr zu vergüten.» Für die Betroffenen wäre es dann sehr schwierig, eine neue Zusatzversicherung zu finden.
Das neue Gesetz schreibt bei Prämienerhöhungen keine rechtzeitige Mitteilung mehr vor und räumt den Versicherten kein Kündigungsrecht mehr ein. Gegen masslose Prämienerhöhungen könnte laut Fuhrer nur noch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) einschreiten.
Neu soll es Versicherungen möglich sein, nach dem Schadenfall einen Vertrag zu kündigen und so aus laufenden Zahlungsverpflichtungen auszusteigen. Das Bundesgericht hat eine solche Praxis für unzulässig erklärt. Ziel der vorgeschlagenen Revision ist es gemäss Fuhrer, diese bundesgerichtliche Rechtsprechung zu ändern.
Prisca Birrer-Heimo (SP/LU) ist Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz. Sie kritisiert die Pläne: «Mit diesen Änderungen werden die Versicherten den Versicherungsunternehmen grösstenteils völlig ausgeliefert sein.»
Kommission gespickt mit Verbandelten
Es erstaunt nicht, dass die Vorlage die Versicherungen begünstigt. Denn in der vorberatenden Wirtschaftskommission des Nationalrates sitzen mehrere Politiker, die mit Versicherungen und Krankenkassen eng verbandelt sind:
Präsident Jean-François Rime (SVP/FR) ist gleichzeitig Delegierter bei der Mobiliar-Versicherung.
Céline Amaudruz (SVP/GE) hat Kontakt zur Lobbyvereinigung Groupe de réflexion der Versicherung Groupe Mutuel.
Martin Landolt (BDP/GL) ist Vorstandsmitglied der Glarner Krankenversicherung und ebenfalls Mitglied der Groupe de réflexion. Auch Leo Müller (CVP/LU) ist Mitglied der Groupe de réflexion.
Die FDP-Nationalräte Christa Markwalder (BE) und Thierry Burkart (AG) ersetzten an der Sitzung der Kommission zum Revisionsentwurf ihre Parteikolleginnen Petra Gössi und Daniela Schneeberger. Markwalder arbeitet bei der Zurich Versicherung, Burkart ist Verwaltungsratsvizepräsident bei der Assista Rechtsschutz SA.
Auch im Parlamentsplenum können die Versicherungen auf breite Unterstützung zählen: Rund 30 National- und Ständeräte aus SVP, FDP und CVP sind direkt mit der Branche verbandelt und erhalten teilweise auch finanzielle Entschädigungen (
K-Tipp 4/2019). Zudem weibelt im Bundeshaus ein knappes Dutzend Lobbyisten für die Versicherungsbranche.
Gegner wollen mit Referendum reagieren
Übrigens: Das Gesetz hätte bereits vor sechs Jahren revidiert werden sollen. Der Vorschlag sah Verbesserungen für die Versicherten vor. Doch die Versicherungsbranche wehrte sich auch damals erfolgreich gegen einen «übertriebenen Konsumentenschutz»: National- und Ständerat wiesen die Revision zurück.
Sollte das Parlament das Gesetz in der vorgesehenen Form annehmen, kündigt Prisca Birrer-Heimo Widerstand an: «Dann muss mit einem Referendum eine Volksabstimmung ermöglicht werden.»