Die raffinierten Tricks der Pillen(an)dreher
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Gesundheitstipp 2/2000
01.02.2000
Was Pharmafirmen tun, um ihre Umsätze zu steigern
Die Pharmaindustrie sorgt nicht allein mit «Ärztebesuchern» für Umsatz. Damit möglichst viele Leute ihre Medikamente konsumieren, peilen die Hersteller immer mehr direkt die Patienten an. Und umgehen so das Werbeverbot.
«Die Rolle des Arztes wird immer weniger wichtig», sagte PR-Fachmann Matthias Fatzer an einer Tagung der Schweizerischen Medikamenten-Informationsstelle (SMI). Es ging um neue Strategien, wie ...
Was Pharmafirmen tun, um ihre Umsätze zu steigern
Die Pharmaindustrie sorgt nicht allein mit «Ärztebesuchern» für Umsatz. Damit möglichst viele Leute ihre Medikamente konsumieren, peilen die Hersteller immer mehr direkt die Patienten an. Und umgehen so das Werbeverbot.
«Die Rolle des Arztes wird immer weniger wichtig», sagte PR-Fachmann Matthias Fatzer an einer Tagung der Schweizerischen Medikamenten-Informationsstelle (SMI). Es ging um neue Strategien, wie die Pharmaindustrie ihre Medikamente vermarkten und den Umsatz steigern kann.
Fatzer versuchte den versammelten Vertretern der Pharmaindustrie damit klarzumachen, dass sie nicht nur die Ärzte bearbeiten sollen, damit diese ihre Präparate bevorzugt abgeben.
Bis vor wenigen Jahren war dies fast der einzige Weg, den Verkauf von rezeptpflichtigen Medikamenten zu steigern. Damals herrschten in der Schweiz noch strengere Werbeauflagen als heute. Regelmässig suchten daher «Ärztebesucher» der Pharmaindustrie Ärztinnen und Ärzte auf, um ihnen die neuen Errungenschaften zu präsentieren.
Verkaufs-Strategie: «Alle Beteiligten bearbeiten»
Das ist heute anders. Werbung ist seit einigen Jahren für fast alle rezeptfreien Heilmittel erlaubt. Und bei rezeptpflichtigen Medikamenten, für die sie nach wie vor nicht werben dürfen, haben Pharmafirmen raffinierte Strategien ausgeheckt.
Man müsse versuchen, «alle Beteiligten zu bearbeiten», sagte Fatzer, der bei der PR-Firma Farner AG verantwortlich ist für die Sex-Pille Viagra. Mit allen Beteiligten meint er:
- Behörden (Fatzer: «Bemüht euch um Zusammenarbeit; geht auf ihre Bedürfnisse ein, bearbeitet sie»);
- Apotheker («Sie können den Streit mit den Ärzten um das Fachwissen gewinnen»);
- Krankenkassen («Sie sind unberechenbar; die Pharmaindustrie muss lernen, sie in die Lagebeurteilung mit einzubeziehen»);
- Politiker («Im Hinblick auf das neue Heilmittelgesetz erhalten die Parlamentarier fast täglich Post von uns»);
- Patientenvereinigungen («Habt Kontakt mit ihnen und versucht, ihre Anliegen zu hören»);
- die Patienten selbst.
Besonders Letztere «direkt anzusprechen» werde immer wichtiger, so Fatzer. Oder in der Fachsprache: «Die Endverbraucher stehen im Zentrum der Kommunikation.»
Es spiele eine entscheidende Rolle, «eine Aura um ein Produkt aufzubauen». Fatzer: «Die Patienten sollen sich mit einem Produkt identifizieren und ihm treu bleiben. Wenn sie mit den Produkten und Dienstleistungen zufrieden sind, fragen sie vielleicht: "Was haben die denn noch zu bieten?"»
Medikamente würden so immer mehr zu «normalen Produkten, die Angebot und Nachfrage gehorchen». Das heisst: Wenn man Bedürfnisse geweckt hat, kann man sie befriedigen.
Doch weil Werbung für rezeptpflichtige Präparate eben nicht erlaubt ist, «müssen wir versuchen, das Boot an der Interkantonalen Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) vorbei zu schiffen», wie es Stefan Wild nannte, Pressesprecher der Pharmafirma Merck Sharp & Dohme Chibret (MSD).
Das gehe zum Beispiel mit Hilfe von Patientenvereinigungen oder Telefon-Aktionen. Die Zusammenarbeit mit den Patientenorganisationen müsse man «nicht verhehlen, das sagt nur niemand», sagt Stefan Wild.
Der Puls-Tip hat bereits in seiner November-Ausgabe beschrieben, dass praktisch alle Gesundheitsorganisationen Sponsorengelder einer Pharmafirma beziehen. Fatzer und Wild bestätigen somit, dass sie das nicht uneigennützig tun.
Auch die Medien sind eine wichtige Zielgruppe der Pharmaindustrie. Laut Stefan Wild ist es «ein offenes Geheimnis», dass man zum Beispiel mit Samuel Stutz von der TV-Sendung «Gesundheit Sprechstunde» manchmal «Hand in Hand arbeitet». Wichtig seien nach wie vor auch die Printmedien. Das Thema Gesundheit boome nicht zuletzt, weil die Medien an den Inseraten interessiert seien.
Schliesslich ist auch das Internet praktisch, um direkt an die Patienten zu gelangen. Es ermöglicht überdies, die landeseigenen Werberichtlinien zu umgehen. «Das Internet sprengt Fesseln, es macht die Landesgrenzen obsolet», pries Matthias Fatzer. Das Internet sei eine Kombination von Information und Unterhaltung, stets aktuell und biete zudem einen «Rückfluss von präzisen Kundendaten».
Und Stefan Wild von der Pharmafirma MSD erklärte: «Diese Entwicklung eröffnet neue, mannigfaltige Möglichkeiten für Informationen über Gesundheit, Krankheit und Medikamente sowie deren Anwendung und Beschaffung.»
Das Ziel, das hinter all diesen Bemühungen steht: Die Patienten sollen Druck machen, damit sie die angepriesenen Medikamente auch erhalten - sei dies bei den Behörden, den Ärzten oder über Gesundheitsorganisationen. «Mehr Informationen stärken die Patienten, und Information ist Macht», erklärte PR-Fachmann Matthias Fatzer.
Alle diese Marketing-Massnahmen sind deshalb problematisch, weil die Patienten nicht wissen, dass dahinter handfeste Interessen stecken. «Es stellt sich die Frage, wem man noch trauen kann», sagte Simonetta Sommaruga von der Stiftung für Konsumentenschutz dazu. «Konsumentinnen und Konsumenten ahnen gar nicht, dass sie ständig beeinflusst werden.»
Firmen gehen an die Grenzen des Erlaubten
Trotz - oder gerade wegen - der strengen Werbeauflagen der IKS. Weil diese so streng sind, reizen die Firmen die Grenzen des Erlaubten nämlich immer weiter aus.
«Wir müssen immer mehr Werbung für rezeptpflichtige Medikamente beanstanden», sagte Gabrielle Gardette von der IKS. Obwohl diese generell verboten sind, wohlgemerkt. Allein im letzten Jahr gab es über 25 Beanstandungen - viele dieser Fälle hatten Konkurrenzfirmen angezeigt. Gabrielle Gardette: «Die Firmen schauen sich gegenseitig auf die Finger.» Von sich aus wird die IKS kaum aktiv.
Unter dem neuen Heilmittelgesetz, das voraussichtlich nächstes Jahr in Kraft treten soll, wird sich am Werbeverbot für rezeptpflichtige Medikamente vermutlich nichts ändern.
Das passt den Pharmafirmen überhaupt nicht. «Der Hersteller, der über seine Medikamente am besten Bescheid weiss, muss die Patienten direkt informieren können», forderte MSD-Pressesprecher Stefan Wild. Wobei er zugab: «Es geht der Industrie darum, Ware zu verkaufen. Wir wollen deshalb auch über unsere Produkte informieren können. Nicht unabhängig, aber objektiv.»
Dies halten Patientenvertreterinnen jedoch für keine gute Idee. «Medikamente sind keine Konsumgüter», sagte Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga. «Deshalb soll man sie auch nicht einfach so kaufen können.»
Anita Baumgartner