Die Mär von der gesundenVera
Aloe-Vera-Produkte finden reissenden Absatz, obwohl sie viel kosten. Eine neue Studie zeigt: Der gesundheitliche Nutzen der Wüstenlilie ist nicht nachweisbar.
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K-Tipp 18/2003
29.10.2003
Bernhard Matuschak - redaktion@ktipp.ch
Sie soll den Körper regenerieren, die Haut verjüngen, Brandverletzungen und Schnittwunden heilen, gegen Krebs, Strahlenschäden und Neurodermitis helfen. Die Liste der Wohltaten, die Aloe Vera zugeschrieben werden, ist lang - dementsprechend blüht das Geschäft mit der Wüstenlilie. Das weltweit grösste Unternehmen im Anbau naturbelassener Aloe Vera, Forever Living Products (FLP) aus den USA, erzielte nach eigenen Angaben im letzten Jahr einen Umsatz von 2,4 Milliarden Franken mit Produkten ...
Sie soll den Körper regenerieren, die Haut verjüngen, Brandverletzungen und Schnittwunden heilen, gegen Krebs, Strahlenschäden und Neurodermitis helfen. Die Liste der Wohltaten, die Aloe Vera zugeschrieben werden, ist lang - dementsprechend blüht das Geschäft mit der Wüstenlilie. Das weltweit grösste Unternehmen im Anbau naturbelassener Aloe Vera, Forever Living Products (FLP) aus den USA, erzielte nach eigenen Angaben im letzten Jahr einen Umsatz von 2,4 Milliarden Franken mit Produkten aus der «Wunderpflanze».
Auch in der Schweiz, wo FLP seit 1999 ansässig ist und ein Liter Aloe-Vera-Saft stolze 38 Franken kostet, schreibt die Firma unternehmerische Erfolgsgeschichte. «Wir haben unseren Umsatz in den vergangenen Jahren um jährlich 30 bis 60 Prozent gesteigert», freut sich Geschäftsführer Max Stalder.
Kunden tragen die Werbekosten mit
Seit letzten Februar hat Emmi das Aloe Vera Sensitive-Joghurt und den Aloe Sensitive-Drink (Fruchtanteil: 10 Prozent) im Angebot. Und bei Coop, der die Emmi-Produkte verkauft, scheinen die Geschäfte auch gut zu laufen. «Weit über dem Budget», sagt Mediensprecher Jörg Birnstiel. Und dies, obwohl Coop-Kunden dafür im Vergleich zu hauseigenen Joghurts fast doppelt so viel bezahlen müssen: Das Aloe-Joghurt kostet Fr. 1.- pro 150-ml-Becher, der Joghurtdrink Fr. 1.60 pro 250 ml.
Auch Migros schöpft den Rahm ab. So ist das seit zwei Monaten für 90 Rappen verkaufte Aloe-Joghurt 30 Rappen teurer als das konventionelle Produkt. Als Begründung für die höheren Preise nennt Pressesprecherin Monika Weibel «teurere Fruchtgrundstoffe sowie kostspielige Promotionsaktivitäten». Anders gesagt: Die Kunden zahlen die Werbekosten. Weiter will sich Migros nicht in die Karten blicken lassen. «Die Kalkulation der Herstellkosten ist Angelegenheit unserer Lieferanten und uns nicht zugänglich», behauptet Weibel.
Den Erfolg der Aloe-Produkte bringen die Anbieter in erster Linie mit den heilenden Kräften in Verbindung, die der Wüstenpflanze nachgesagt werden. Coop-Sprecher Birnstiel: «Das Produkt liegt im allgemeinen Wellness- und Gesundheitstrend. Der Konsument hat das Gefühl, dass es gesünder ist.» Weitere Angaben sind bei Coop nicht zu haben. «Wir machen keine Gesundheitsanpreisung», heisst es.
Wesentlich dicker trägt Emmi auf der firmeneigenen Homepage auf: «Die Wirkung von Aloe Vera ist fast so umfassend wie die einer kleinen Hausapotheke. Ihr Saft heilt Schnittwunden oder kleine Brandverletzungen, hilft gegen Mückenstiche und Sonnenbrand und ist vor allem berühmt für die Wirkung auf unser grösstes Organ: die Haut.»
Als Heilmittel nicht zugelassen
Offiziell dürfen Aloe-Produkte jedoch nur als Nahrungsergänzungsmittel beworben werden. Als Heilmittel ist Aloe Vera laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) nicht zugelassen, denn eine Heilwirkung der Wüstenlilie ist wissenschaftlich nicht belegt. Zwar existierten zahlreiche Studien, die jedoch aus Forschersicht allesamt ungenügend seien, sagt Edzard Ernst, Professor für Komplementärmedizin an der britischen Universität Exeter.
Der Wissenschaftler hat alle relevanten Studien zu gesundheitsfördernden Wirkungen bei Aloe Vera durchleuchtet. Mit vernichtendem Resultat: «Ausser als Abführmittel ist die Wirksamkeit von Aloe Vera nie nachgewiesen», stellt Ernst fest.
Die meisten Studien entsprächen nicht den heutigen Standards für klinische Prüfungen, kritisiert Ernst und dann auch das Fehlen von Kontrollen mit Scheinmedikamenten (Placebos). Sogar bei der Aloe Vera seit langem nachgesagten wundheilenden Wirkung stiess der Mediziner «auf widersprüchliche oder dürftige Ergebnisse».
Rätselhaft bleiben für Edzard Ernst die hohen Preise für Aloe-Produkte: «Die Pflanze wächst wie Unkraut und kann ohne grossen Aufwand kultiviert werden.» Sein Fazit: «Aloe Vera ist nur deshalb so populär, weil es so aggressiv beworben wird.»
Und Emmi scheint mittlerweile verunsichert: «Wir haben eine Schweizer Uni mit einer Studie beauftragt, die untersuchen soll, inwieweit Aloe Vera gesundheitsfördernde Eigenschaften besitzt», gibt Emmi-Sprecherin Ingrid Schmid zu.