Der grosse Schritt zum kleinen Schnitt
<br />
Ist die Familienplanung abgeschlossen, taucht bei vielen Paaren die Frage auf, ob er oder sie sich unterbinden lassen soll.
Inhalt
saldo 13/2003
27.08.2003
Christian Breitschmid
Leonora Cadalbert ist 35, geschieden und Mutter von zwei Kindern. Seit einiger Zeit lebt sie wieder in einer festen Beziehung und widmet sich mit grossem Engagement ihrer beruflichen Karriere. Als wegen einer Blasenschwäche ein operativer Eingriff notwendig wurde, entschied sie, sich dabei gleich auch unterbinden zu lassen. «Ich habe zwei Kinder und eine gute Beziehung. Mein Partner ist jünger als ich und steht hinter mir und meiner Entscheidung. Sollte unsere Beziehung dennoch einmal auseina...
Leonora Cadalbert ist 35, geschieden und Mutter von zwei Kindern. Seit einiger Zeit lebt sie wieder in einer festen Beziehung und widmet sich mit grossem Engagement ihrer beruflichen Karriere. Als wegen einer Blasenschwäche ein operativer Eingriff notwendig wurde, entschied sie, sich dabei gleich auch unterbinden zu lassen. «Ich habe zwei Kinder und eine gute Beziehung. Mein Partner ist jünger als ich und steht hinter mir und meiner Entscheidung. Sollte unsere Beziehung dennoch einmal auseinander brechen, könnte er immer noch Vater werden. Ich hingegen bin mir sicher, dass ich keine Kinder mehr will», erklärt sie ihren Entschluss.
Bei Raphael Baumann liegt der Fall ähnlich. Der 38-Jährige ist verheiratet und Vater zweier Töchter. Schon vor der Geburt des zweiten Kindes hatten er und seine Frau sich überlegt, wie sie nach der Geburt mit dem Thema Verhütung umgehen wollten. «Unsere Überlegung war dann eine reine Kosten-Risiko-Vernunftsrechnung», erklärt Baumann rückblickend.
Beim Mann ist der Eingriff kurz und schmerzlos
Kollegen bestätigten Baumann, dass der Eingriff kurz, schmerzlos und unkompliziert sei. Dagegen müsse die Frau voll narkotisiert werden und der Eingriff sei auch teurer und gefährlicher. «Meine Freunde haben mir erzählt, dass ich im Kopf damit klar-kommen müsste. Wenn ich begriffen hätte, dass sich für mich nichts ändern werde nach dem Eingriff, dann sei das nicht anders, als wenn man Blut spenden gehe.»
So war es auch. Anfang Juli liess sich Raphael Baumann von Jean-Luc Fehr unterbinden. Der Eingriff dauerte etwas mehr als eine halbe Stunde. Ein Lokalnarkotikum wurde in den linken Samenleiter gespritzt, und während Baumann ganz entspannt auf dem OP-Tisch lag, öffnete der Urologe den Hodensack mit einem Schnitt von wenigen Millimetern, zog den Samenleiter etwas heraus, schnitt ein Stück von gut 2 Zentimetern ab, verödete die Enden, band sie ab, schob sie wieder in ihre Hülle zurück und nähte den Hodensack mit wenigen Stichen wieder zu. Das ganze Prozedere wurde am rechten Samenleiter wiederholt.
Zur Sicherheit schluckte Raphael Baumann vor dem Zubettgehen eine Schmerztablette und bewegte sich in den ersten Tagen nach dem Eingriff etwas vorsichtiger. Nach zwei Wochen lösten sich die Fäden von selbst auf, und eine Woche später kam Baumann bereits wieder seinen ehelichen Pflichten nach. Ende September wird sein Ejakulat noch untersucht, ob sich darin auch sicher keine Spermien mehr befinden. Ab dann sind keine Verhütungsmittel mehr nötig.
Die Unterbindung der Frau geschieht unter Vollnarkose
Der Gynäkologe Jürg Diener führte bei Leonora Cadalbert den ersten Eingriff unter Lokalanästhesie durch. Anschliessend bekam die junge Frau eine Vollnarkose für die Unterbindung: Ein kleiner Schnitt im Bauchnabel und ein zweiter etwas tiefer machten den Weg frei für das Laparoskop und den Gerätearm. Jeder der beiden Eileiter wurde dreimal mit elektrisch erzeugter Hitze auf einer Länge von drei Zentimetern durchtrennt. Die eigentliche Unterbindung dauerte nur etwa 20 Minuten. Nach dem Eingriff konnte sich Leonora Cadalbert in ihrem Zimmer noch ein paar Stunden ausruhen. Wegen der zweiten Operation blieb sie zur Kontrolle noch bis am nächsten Morgen.
"Eine Unterbindung ist für die Frau mit mehr Risiken verbunden"
Obwohl Verhütung nach wie vor hauptsächlich Frauensache ist, werden zunehmend weniger Frauen unterbunden. Der Gynäkologe Jürg Diener weiss, warum.
Puls: Werden in der Schweiz mehr Männer oder mehr Frauen unterbunden?
Jürg Diener: Statistische Zahlen gibt es in der Schweiz nicht, aber ich gehe davon aus, dass tendenziell mehr Männer unterbunden werden als Frauen.
Sah dieses Verhältnis vor ein paar Jahren nicht noch anders aus?
Ja sicher. Aber heute gibt es auch bessere Alternativen für Frauen. Ich denke da beispielsweise an die neuste Generation von Spiralen, die klare Vorteile hat: sichere Verhütung, schwache und weniger schmerzhafte Monatsblutung. Die Spirale ist einfach einzulegen und muss nur alle fünf Jahre gewechselt werden. Eine Frau muss sich also nicht sofort unterbinden lassen, wenn der Mann dazu nicht bereit ist, sie aber ganz sicher sein will. Wenn fünf Paare zur Beratung kommen, dann bietet man in der Regel fünf verschiedene Lösungen an.
Wenn es eine Unterbindung sein soll, was gilt es zu beachten?
Primär gilt, dass eine Unterbindung für die Frau mit mehr Risiken verbunden ist als diejenige beim Mann. Bei ihm kann es mal vorkommen, dass eine Nachblutung entsteht. Das ist aber nicht gefährlich und muss nicht operativ behandelt werden. Bei der Frau ist eine Vollnarkose nötig. Beim Eingriff besteht das Risiko, dass es zu Verletzungen von Darmschlingen kommt.
Gibt es Fälle, in denen Sie von einer Unterbindung abraten?
Ich selber habe noch keinen solchen Eingriff ablehnen müssen. Wenn aber eine Patientin schon schwere Bauchoperationen gehabt hat und die Gefahr da ist, dass Verwachsungen im Bauch bestehen, dann wird der Eingriff riskant.
Mann oder Frau will manchmal die Unterbindung rückgängig machen. Wie erfolgreich sind sogenannte Refertilisierungen?
Man kann eine Frau durch das Zusammennähen der durchtrennten Eileiter wieder fruchtbar machen. Das gelingt heute mikrochirurgisch sehr gut. Bei genügend langen Eileiterresten liegt die Erfolgsrate bei 80 Prozent. Auch die Samenleiter beim Mann können wieder zusammengenäht werden. Ob er allerdings wieder Kinder zeugen kann, hängt davon ab, wie viel Zeit verstrichen ist zwischen der Unterbindung und der Refertilisierung. In den ersten fünf Jahren ist die Chance am besten. Bis zehn Jahre nach der Vasektomie liegen die Chancen noch bei 50 Prozent.
Wer bezahlt die Unterbindung?
Prinzipiell ist die Unterbindung eine freiwillige Entscheidung des Paares und somit - wie die Präservative - keine Kassenleistung. Trotzdem werden die Kosten zu 20 bis 80 Prozent von der Kasse übernommen. Eine Vasektomie kostet etwa 900 Franken, eine Eileiterunterbindung etwa 2000 Franken.