«Das RAV hat mehr gedroht als geholfen»
Mit der Krise nimmt der Andrang bei den Arbeitsvermittlungszentren (RAV) zu. Jetzt klagen Arbeitslose, Berater würden sie massiv unter Druck setzen.
Inhalt
Gesundheitstipp 11/2009
01.11.2009
Letzte Aktualisierung:
03.11.2009
Andreas Gossweiler
Nachdem sie die Kündigung erhalten hatte, ging es Regina Becker (Name geändert) wochenlang mies: Die Bankangestellte fiel in eine Depression. Deshalb fehlte ihr die Kraft, Bewerbungen zu schreiben: «Ich musste mich zuerst erholen.» Ein Psychologe bestätigte das. Doch als Becker sich beim RAV meldete, kam der zweite Schock: «Der Berater unterstellte mir, ich sei zu faul gewesen, mir eine neue Stelle zu suchen. Er drohte mir, mein Taggeld zu kürzen.» ...
Nachdem sie die Kündigung erhalten hatte, ging es Regina Becker (Name geändert) wochenlang mies: Die Bankangestellte fiel in eine Depression. Deshalb fehlte ihr die Kraft, Bewerbungen zu schreiben: «Ich musste mich zuerst erholen.» Ein Psychologe bestätigte das. Doch als Becker sich beim RAV meldete, kam der zweite Schock: «Der Berater unterstellte mir, ich sei zu faul gewesen, mir eine neue Stelle zu suchen. Er drohte mir, mein Taggeld zu kürzen.»
Viele Menschen werden krank, wenn sie die Stelle verlieren (siehe Gesundheitstipp 9/09). Damit nicht genug: Zahlreiche Leser berichteten, dass sie vom RAV schikaniert werden. Das schadet der Gesundheit zusätzlich. Regina Becker bekam wieder Depressionen – weil das Arbeitsvermittlungszentrum sie so unter Druck gesetzt hatte. «Vom RAV-Berater erwarte ich, dass er mir Mut macht und gute Tipps gibt», sagt die 42-jährige Zürcherin. «Doch er hat mir mehr gedroht als geholfen.» Er habe auch eine Weiterbildung abgelehnt: «Er sagte, ich müsse sie selber zahlen und abbrechen, sobald ich eine Stelle gefunden habe.»
Barbara Gisi, Leiterin Angestelltenpolitik der Gewerkschaft KV Schweiz, kritisiert: «Das Drohen mit Sanktionen ist der falsche Ansatz. Arbeitslose haben ein Recht darauf, dass der RAV-Berater sie anständig behandelt.» Zwar müsse er die Klienten über ihre Pflichten aufklären: «Er darf sie aber nicht von Anfang an unter Generalverdacht stellen.»
«Nach dem Treffen ging ich weinend nach Hause»
Auch der 47-jährigen Isabelle Kessler (Name geändert) warf eine Mitarbeiterin eines RAV vor, sie hätte sich zu wenig um einen neuen Job bemüht. Dies, obwohl die Zürcher Grafikerin nach der Kündigung begründete Hoffnungen auf eine neue Stelle hatte: «Ich konnte in einer anderen Firma einige Tage zur Probe arbeiten», sagt Kessler. «Aber das interessierte die Beraterin nicht. Sie deckte mich nur mit Vorwürfen ein. Nach dem ersten Treffen ging ich weinend nach Hause.» Einige Tage später teilte ihr das RAV mit, ihr Taggeld werde gekürzt – sie habe zu wenig Bewerbungen geschrieben.
Dann kam der nächste Tiefschlag: «Die Beraterin kritisierte meine Bewerbungen und korrigierte sie mit dem Rotstift – obwohl ich die Briefe zusammen mit einem Personalfachmann geschrieben hatte.» Die Behandlung im RAV hattte Folgen: Kessler erlitt einen Nervenzusammenbruch und musste sich krankschreiben lassen.
«Viele Berater sind ungenügend vorbereitet»
Die Berner Soziologin Chantal Magnin hat die RAVs in einer Forschungsarbeit unter die Lupe genommen. Sie sagt: «Viele Berater sind überfordert und ungenügend auf ihre schwierige Aufgabe vorbereitet.» Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen sei willkürliches Handeln programmiert: «Das Problem ist, dass Berater die Klienten gleichzeitig beraten und kontrollieren müssen.» Diese beiden Aufgaben würden sich aber widersprechen: Um den Klienten zu helfen, müssten Berater sich offen und vertrauensvoll auf sie einlassen. Wegen ihrer Kontrollfunktion sei das aber nicht möglich.
Barbara Gisis Rat: Wer mit dem Berater nicht zufrieden ist, sollte bei der RAV-Leitung den Wechsel zu einer anderen Betreuungsperson beantragen. Genau das hat Isabelle Kessler getan. «Nach drei Monaten habe ich den Chef des RAV angerufen. Ich sagte ihm: ‹Mir gehts nicht gut, ich möchte einen Wechsel.›» Kessler erhielt einen neuen Berater. Mit ihm ist sie zufrieden. Zu den Vorwürfen gegen die RAVs nimmt Can Arikan, Sprecher des Zürcher Amtes für Wirtschaft und Arbeit (AWA), Stellung. Er spricht von «vereinzelten Missverständnissen»: Das sei nicht erstaunlich, weil die RAVs im Kanton Zürich zurzeit rund 35'000 Stellensuchende betreuen.
Arikan sagt, die Berater müssten die Qualität der Bewerbungen kontrollieren: «Es kann vorkommen, dass Klienten dem Berater einen Brief zeigen müssen – auch wenn sie ihn zusammen mit einem Fachmann geschrieben haben.» Stellensuchende mit Depressionen müssten ein Arztzeugnis bringen. Dann würden sie für 30 Tage krankgeschrieben, müssten sich also nicht bewerben. Eine Weiterbildung zahle das RAV nur, wenn die Person dadurch bessere Chancen auf einen Job habe: «Die Weiterbildung darf aber keine Umschulung sein.»
Der AWA-Sprecher schiebt den Ball den Arbeitslosen zu: Berater könnten «stärker kontrollieren», wenn sie das Gefühl hätten, Klienten würden sich nicht an «Spielregeln» halten. Und: Die RAV-Berater seien sorgfältig geschult. Die Ausbildung dauert laut Arikan rund drei Wochen.
Tipps: Arbeitslos: Das müssen Sie wissen
- Beginnen Sie sofort nach der Kündigung mit der Stellensuche. Sonst erhalten Sie während einer gewissen Zeit keine Entschädigung (Taggeld).
- Machen Sie immer Kopien von Ihren Bewerbungsunterlagen.
- Melden Sie sich beim RAV spätestens am ersten Tag, für den Sie Taggeld erwarten.
- Sie müssen dem RAV in der Regel 10 bis 12 Bewerbungen pro Monat vorlegen.
- Haben Sie zu wenig Bewerbungen, müssen Sie mit der vorübergehenden Einstellung des Taggelds rechnen. Sie können aber Einsprache erheben.
- Beantragen Sie bei der RAV-Leitung den Wechsel zu einem anderen Berater, wenn Sie schikaniert werden.