Karl-Heinz Kuster (Name geändert) ist glücklich. Nach kurzer Arbeitslosigkeit hat er eine neue Stelle gefunden. Sorge bereitet ihm aber ein Schreiben der Pensionskasse seines neuen Arbeitgebers. Sie verlangt, dass Kuster «die gesamte Austrittsleistung» seiner ehemaligen Kasse auf ihr Konto überweise. Das Vorgehen der Pensionskasse ist die Regel: Wer die Stelle wechselt, muss von Gesetzes wegen das gesamte Freizügigkeitsguthaben an die Vorsorgeeinrichtung der neuen Firma überweisen.
Kuster bereitet diese Bestimmung aber Sorgen. Denn die Pensionskasse seines neuen Arbeitgebers ist mit 91 Prozent tief in Unterdeckung. Eine solche liegt vor, wenn die vorhandenen Anlagen und Vermögen (Aktiven) nicht mehr ausreichen, um versprochene Leistungen wie Renten oder Austrittsleistungen zu decken. Karl-Heinz Kuster schreibt K-Geld: «Es besteht doch die Gefahr, dass ich mein Geld nur noch teilweise zurückerhalte, wenn mein neuer Arbeitgeber Konkurs gehen sollte und die Kasse aufgelöst würde.»
2008: Jede 25. Stiftung ging pleite
Kusters Sorge ist berechtigt: Allein im Jahr 2008 gingen gemäss Statistik des Bundesamts für Sozialversicherungen knapp 100 der rund 2500 Pensionskassen-Stiftungen Konkurs. Das war häufig mit einem Teilverlust der Vorsorgeguthaben der Versicherten verbunden. Rund ein Drittel der Kassen sind zudem in Unterdeckung. Kommt es zu einer «Massenentlassung» – dafür reicht in der Regel bereits ein Abbau von 10 Prozent der Belegschaft –, ist die Pensionskasse berechtigt, nur einen Teil der Gelder den Betroffenen mitzugeben. Zudem verzinsen Kassen in Unterdeckung überobligatorische Vorsorgegelder oft sehr schlecht oder gar nicht.
Karl-Heinz Kuster wählt folgenden Ausweg aus dem Dilemma: Er lässt die Austrittsleistung seiner vorherigen Pensionskasse auf zwei Freizügigkeitskonten bei unterschiedlichen Banken überweisen (siehe Tabelle rechts oben). Danach löst er aber lediglich ein Konto auf und lässt den darauf deponierten Betrag an die Kasse des neuen Arbeitgebers überweisen – das Geld auf dem zweiten Bankkonto lässt er bis auf Weiteres «parkiert» auf dem Freizügigkeitskonto mit festem Zins.
Dies bringt ihm dank des verteilten Risikos mehr Sicherheit und eine bessere Verzinsung als in der Pensionskasse seines neuen Arbeitgebers. Zudem kann er später von Steuervorteilen profitieren: Bezieht Kuster das Freizügigkeitsgeld nämlich bar in einem andern Jahr als sein übriges Guthaben, so wird es in den meisten Kantonen getrennt besteuert. Ein gestaffelter Bezug von Kapitalleistungen bringt wegen der tieferen Progression Steuervorteile.
Freizügigkeitsgelder: Der Kasse nicht bekannt
Aber auch wer nur über ein einziges Freizügigkeitskonto verfügt, kann unter Umständen nur einen Teilbetrag an die neue Pensionskasse übertragen. Denn einzahlen muss man nur so viel, dass die vollen Leistungen gemäss PK-Reglement gedeckt sind.
Tipp beim Jobwechsel: Erkundigen Sie sich bei Ihrer neuen Pensionskasse, wie hoch Sie sich einkaufen müssen. Die neue PK wird Sie zwar auffordern, allfällige Freizügigkeitsgelder vollständig einzubringen. Aber sie wird kaum insistieren, wenn Sie es nicht tun. Denn sie kann nicht wissen, ob Sie Gelder auf einem Freizügigkeitskonto oder allenfalls auf mehreren liegen haben.
In der Praxis wird oft sogar nur die obligatorische Leistung in die neue Kasse eingebracht. Dieses Vorgehen ist jedoch unzulässig und entspricht auch nicht dem Zweck von Freizügigkeitskonten als Übergangslösung. Doch Karl-Heinz Kuster scheint mit seinen Vorbehalten kein Einzelfall zu sein: In der Schweiz liegen gemäss Bundesamt für Sozialversicherungen auf rund 1,5 Millionen Freizügigkeitskonten, -fonds und -policen derzeit rund 29 Milliarden Franken.
Nicht-Einzahlen kann auch Nachteile haben
Was passiert aber, wenn man einfach nichts oder nur einen ungenügenden Betrag an die neue Pensionskasse überweist? «Nichts», sagt Franziska Grob, Juristin und Expertin für berufliche Vorsorge im Bundesamt für Sozialversicherungen. Sanktionen seien nicht vorgesehen. Sie gibt allerdings zu bedenken, dass dieses Verhalten beim Eintreffen eines Versicherungsfalls einige Risiken mit sich bringe. Zum Beispiel, wenn jemand invalid wird: Es ist umstritten, ob die Vorsorgeeinrichtung dann das Freizügigkeitsgeld noch annehmen müsse. «Versicherungsleistungen würden dann entsprechend tiefer ausfallen», befürchtet Franziska Grob.
Allenfalls könnten Schlaumeier auch auf die Idee kommen, Freizügigkeitsguthaben teilweise oder vollständig zu verschweigen und dafür bei der neuen Pensionskasse steuerlich abzugsfähige Einkäufe zu tätigen. Ein solches Vorgehen empfiehlt sich nicht: Kommen die Steuerbehörden dem Betreffenden auf die Schliche, werden die zu Unrecht erfolgten Einkäufe rückgängig gemacht. Auf diese Einkäufe in die Pensionskassen werden zudem Nachsteuern und 5 Prozent Strafzinsen fällig.
Verschleiert der Versicherte sein Freizügigkeitsguthaben gar arglistig, so können im Extremfall Strafsteuern bis zum Fünffachen der unrechtmässig «eingesparten» Steuern fällig werden.
Vorsorgegelder in Fonds: Banken bieten Alternativen zu Freizügigkeitskonten
Wer sein Geld nicht der neuen Pensionskasse anvertrauen will, hat neben Freizügigkeitskonten noch weitere Möglichkeiten. Banken bieten Sparformen an, die in Fondsanlagen investieren. Tipp: Verlassen Sie sich bei solchen Anlageformen nie auf die höheren Renditeversprechen. Vielmehr müssen sich Vorsorgesparer bewusst sein, dass das Kapital in diesem Fall den Kursrisiken an den Börsen ausgesetzt ist. Der Aktienanteil in den Fonds darf von Gesetzes wegen maximal 50 Prozent betragen. Sogenannte Freizügigkeitspolicen bei Versicherungen lohnen sich für Sparer wegen der hohen Kosten meist nicht.
Vorsorgegelder auf Freizügigkeitskonten :Gelder dürfen übers Pensionsalter hinaus liegen gelassen werden
Freizügigkeitsgelder darf man bis zu fünf Jahre nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters auf dem Freizügigkeitskonto liegen lassen. Frauen also bis Alter 69, Männer bis 70. So bestimmt es klar und eindeutig die Freizügigkeitsverordnung. Klar und eindeutig? Nicht nach Auffassung gewisser Kantone. Der entsprechende Artikel sei «auslegungsbedürftig», meint beispielsweise das Bündner Steueramt. Es stellt sich zusammen mit dem Kanton Thurgau und weiteren Ostschweizer Kantonen auf den Standpunkt, dass Freizügigkeitsgelder sofort bei der effektiven Pensionierung auszuzahlen seien.
Nur wer weiter erwerbstätig sei, dürfe sein Vorsorgeguthaben noch bis spätestens Alter 69/70 liegen lassen. Dies zum Nachteil der Versicherten, die gerne noch weiter von den Vorzügen des Freizügigkeitskontos profitieren möchten.
Nach Ansicht des Bundesamts für Sozialversicherungen darf man sein Geld aber auf jeden Fall auf dem Konto liegen lassen – «auch ohne weitere Erwerbstätigkeit». So sieht es auch die Schweizerische Steuerkonferenz – das Koordinationsgremium der kantonalen Steuerämter –, auch wenn sie eine Gesetzesänderung im Sinne der Ostschweizer begrüssen würde.
Und der Kanton Zürich hat seine «Ostschweizer Praxis» 2002 angesichts der Gesetzeslage auf Druck von Versicherten gar aufgegeben. Das Bundesamt für Sozialversicherungen empfiehlt darum, sich gegen eine vorzeitige Besteuerung der Altersleistung auf dem Gerichtsweg zu wehren.