K-Tipp-Leser Lars Aebersold aus Thun BE (Name geändert) erhielt Anfang Juli von der Migros einen Brief: «Ihr Cumulus-Green-Anteil beträgt 5,2 Prozent.» Gleichzeitig teilte sie Aebersold mit, dass der Schweizer Durchschnitt bei 17,7 Prozent liege. «Fast hätte ich ein schlechtes Gewissen bekommen», sagt er.
Die Migros berechnet seit kurzem den sogenannten Green-Anteil all jener Kunden, die ihre Cumulus-Karte vorweisen. Aebersolds Green-Anteil von 5,2 Prozent bedeutet: In den Monaten April und Mai hat er für knapp 2000 Franken bei der Migros eingekauft. Davon gab er rund 100 Franken für Produkte mit Bio- oder einem anderen Öko-Label aus.
«Green»-Anteil nicht aussagekräftig
Andere Kunden kaufen angeblich wesentlich umweltbewusster ein. Der durchschnittliche Green-Anteil aller Cumuluskarten-Besitzer liegt laut Migros wie erwähnt bei 17,7 Prozent. «Bin ich deshalb besonders rücksichtslos?», fragt Aebersold. «Überhaupt nicht», antwortet der K-Tipp. Denn der berechnete Green-Anteil ist überhaupt nicht aussagekräftig. Die Gründe:
- Lars Aebersold ist überzeugter Velofahrer. Würde er bei der Migros-Tochter M-Way für 4000 Franken ein Elektrovelo mit Topten-Label kaufen, würde sein Green-Anteil schlagartig auf über 68 Prozent steigen. Aber «grüner» als mit seinem normalen Velo wäre er deshalb nicht unterwegs. Im Gegenteil.
- Aebersold trinkt meist Leitungswasser. Würde er stattdessen Bio-Eistee trinken, stiege sein Green-Anteil nochmals. «Grüner» wäre auch das nicht.
- Wenn italienische oder spanische Orangen in den Regalen liegen, macht er sich ab und zu einen Orangensaft. Doch der ist nicht bio. Würde er Bio-Saft kaufen, wäre sein Green-Anteil höher. Doch das Konzentrat für den Bio-Orangensaft stammt aus Brasilien oder Mexiko. Ist das «grün»?
Es gäbe weitere Beispiele: Wer oft neue Elektrogeräte anschafft, verhält sich nicht sonderlich umweltbewusst, auch wenn diese das Topten-Label tragen. Und wer laufend Bio-Kleider kauft, statt ein Kleidungsstück auszutragen, ist auch nicht sonderlich «grün». Doch all dies erhöht den Green-Anteil.
Höhere Marge auf Öko-Produkten
Migros-Sprecherin Monika Weibel gibt denn auch zu: «Mit Cumulus-Green kann nur ein Aspekt aufgezeigt werden. Natürlich gibt es andere Möglichkeiten, sich im Alltag bewusst nachhaltig zu verhalten.»
Der Verdacht liegt nahe, dass die Migros bewusst mit dem schlechten Gewissen der Kunden spielt. Denn sie hat ein erhebliches Interesse daran, mehr Öko-Produkte zu verkaufen. Erstens sind diese teurer, und zweitens ist die Marge der Migros auf diesen Produkten höher. Die Bauern profitieren in der Regel wenig vom höheren Öko-Preis. Dies belegen Recherchen von K-Tipp und «Saldo».
Migros-Sprecherin Weibel stellt diesen Beweggrund in Abrede: «Wir hoffen, dass wir das Bewusstsein der Kunden für diese Mehrwerte steigern können. Nicht der Umsatz steht im Vordergrund, sondern die Nachhaltigkeit.»