Bern will endlich handeln
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saldo 5/2000
15.03.2000
Ein neuer Kassensturz-Test zeigt: Steinobstschnaps wie Kirsch oder Pflümli enthält nach wie vor zu viel Krebs erregendes Urethan.
In jedem dritten Schnaps ist der Urethangehalt massiv zu hoch: Zu diesem Resultat kommt eine aktuelle Stichprobe des Kassensturz. In 5 von 15 getesteten Schweizer Schnäpsen ist der Anteil des Krebs erregenden Stoffes gefährlich hoch.
Kantonschemiker Robert Braschler aus Brunnen setzte sich jahrelang für die Ein-führung eines Schwei...
Ein neuer Kassensturz-Test zeigt: Steinobstschnaps wie Kirsch oder Pflümli enthält nach wie vor zu viel Krebs erregendes Urethan.
In jedem dritten Schnaps ist der Urethangehalt massiv zu hoch: Zu diesem Resultat kommt eine aktuelle Stichprobe des Kassensturz. In 5 von 15 getesteten Schweizer Schnäpsen ist der Anteil des Krebs erregenden Stoffes gefährlich hoch.
Kantonschemiker Robert Braschler aus Brunnen setzte sich jahrelang für die Ein-führung eines Schweizer Grenzwertes ein. Doch Braschler hat aufgehört, nach dem Krebserreger zu suchen: "Der Gesetzgeber hat es unterlassen, einen Höchstwert festzulegen. Da fehlen uns schlicht die Grundlagen für einen Vollzug." Bereits 1997 warnte das Kantonale Labor Zürich in seinem Jahresbericht: "Diese unverständlich lange Verzögerung führt dazu, dass von einigen Herstellern und Anbietern die berechtigte Warnung von zu hohen Gehalten an Krebs erregendem Urethan nicht mehr ernst genommen wird."
Bis zum heutigen Tag gibt es europaweit keinen Grenzwert. Nur Kanada hat sich lange schon festgelegt: Ein Liter Steinobstschnaps darf nicht mehr als 0,4 Milligramm Urethan enthalten. Die Behörden wollen jetzt, volle 15 Jahre nach den ersten erschreckenden Erkenntnissen, handeln: Das BAG plant bis Ende Jahr einen
Toleranz- oder Grenzwert einzuführen.
Krebs auslösende Wirkung schon längst bekannt
In der Schweiz ist das Problem altbekannt, etwas unternommen haben die Behörden aber nicht. Bereits 1986 veröffentlichte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die erschreckenden Ergebnisse kanadischer Tierversuche. Die hatten eindeutig gezeigt: "Urethan löst in verschiedenen Organen Krebs aus, vor allem in Lunge und Leber, aber auch in Brust, Lymphdrüsen, Gefässen und Haut." Zudem wird der Stoff durch die Plazenta auf den Embryo übertragen - was bei den Kleinkindern zu Lungenkrebs führen kann.
Im August 1991 versprach Robert Zimmerli vom BAG im Kassensturz Abhilfe: Zwei bis fünf Jahre werde es dauern, dann habe man das Problem im Griff.
Jetzt, neun Jahre später, zeigt die erneute Stichprobe ein erschreckendes Resultat: Die Konzentrationen des Krebserregers sind zum Teil noch höher als vor neun Jahren.
Dabei könnten die Produzenten mit mehr Sorgfalt das Schlimmste recht einfach verhindern - etwa durch das Abfüllen in dunkle Flaschen. Urethan bildet sich durch Blausäure in Steinobstschnäpsen, vor allem unter Lichteinfluss. Doch die Destillerien lehnen braune oder grüne Flaschen ab: "Man hat entsprechende Versuche gemacht", sagt Toni Z'Graggen, Präsident des Schweizerischen Brennerverbandes, "das Ergebnis war, dass der Verkauf stark zurückgegangen ist. Die Schweizer wollen den Schnaps in einer weissen Flasche."
Der Urethangehalt könnte jedoch auch durch eine schnelle und saubere Wei-terverarbeitung der Fruchtmasse massiv reduziert werden. Rosemarie Zuber in Arisdorf BL hat "als einzige Brennerei für die Bauern ein Belohnungssystem eingeführt". Nur reife, höchstens zwei Tage alte Früchte gehören bei ihr in die Maische. Zudem müssen die Steine möglichst ganz bleiben. Bleibt die Maische zu lange liegen, ehe sie weiterverarbeitet wird, tritt mehr Blausäure aus den Steinen aus.
Toleranzwert frühestens im nächsten Jahr
Mit mangelnder Vorsicht beim Brennvorgang erklärt sich Z'Graggen die schlechten Ergebnisse der Kassensturz-Stichprobe. "Wenn nicht mit der entsprechenden Vorsicht produziert wird, kann zu viel Urethan entstehen."
Lilo Wicki