«Aus Lust am Spionieren werden keine Daten gespeichert»
Der Bundesrat will immer mehr Internetdaten über die Bürger sammeln. SP-Bundesrätin Sommaruga rechtfertigt das mit der Bekämpfung von Schwerverbrechen.
Inhalt
saldo 20/2011
02.12.2011
Letzte Aktualisierung:
06.12.2011
Thomas Lattmann, Beatrice Walder
saldo: Misstraut der Bundesrat der Bevölkerung? Im Januar setzt Ihr Departement eine neue Verordnung in Kraft, welche die Überwachung unbescholtener Bürger ausweitet.
Simonetta Sommaruga: Mit Misstrauen gegenüber der Bevölkerung oder Aushorchen von unbescholtenen Bürgern hat die Fernmeldeüberwachung nichts zu tun. Es geht nur um die Aufklärung schwerer Straftaten. Der Fernmeldeverkehr darf nur überwacht werden, wenn die...
saldo: Misstraut der Bundesrat der Bevölkerung? Im Januar setzt Ihr Departement eine neue Verordnung in Kraft, welche die Überwachung unbescholtener Bürger ausweitet.
Simonetta Sommaruga: Mit Misstrauen gegenüber der Bevölkerung oder Aushorchen von unbescholtenen Bürgern hat die Fernmeldeüberwachung nichts zu tun. Es geht nur um die Aufklärung schwerer Straftaten. Der Fernmeldeverkehr darf nur überwacht werden, wenn dies von einem Gericht genehmigt wurde. Die neue Verordnung bringt keine Ausweitung, sondern eine Präzisierung, wer welche Daten zu liefern hat.
Neu sollen aber nicht nur alle E-Mail-Eckdaten festgehalten werden, sondern auch Chats und Internet-telefonie.
Neu ist, dass in der Verordnung die Arten von Daten genannt werden und wer diese liefern muss. Das schafft Rechtssicherheit.
Die Daten der ganzen Bevölkerung werden auf Vorrat gespeichert, nicht nur jene von Verdächtigen. Ein Gesetzesentwurf Ihres Departements sieht vor, den Mail- und Telefonverkehr nicht nur für sechs, sondern neu für zwölf Monate zu speichern.
Es geht hier nicht um Gesprächsinhalte, sondern um die Verbindungsdaten. Im Ausland speichert man diese heute 12 bis 24 Monate.
Viele Staaten, vor allem undemokratische, wollen ihre Bürger so genau überwachen, wie es der Stand der Technik zulässt.
Die Schweiz ist ein demokratischer Staat. Und demokratische Staaten dürfen die neuen Kommunikationskanäle nicht einfach Straftätern überlassen. Bei der Vorratsdatenspeicherung im Internet geht es darum, dass die Internetanbieter aufzeichnen, wann, wo und wie lange jemand herumgesurft ist. Beim Mail-Verkehr müssen sie zum Beispiel alle Eckdaten inklusive des Betreffs aufbewahren. Diese Daten werden nicht gespeichert, weil die Behörden Lust haben, den Bürgern nachzuspionieren.
Sondern?
Damit die Strafverfolgungsbehörden die Internetaktivitäten eines Kriminellen auch rückwirkend nachvollziehen können. Der Bundesrat hat noch nicht entschieden, ob die Aufbewahrungsfrist auf zwölf Monate erweitert wird. Er will erst prüfen, ob die Vorteile überwiegen, wenn Provider die Daten länger archivieren.
Zu Beginn ihrer Ermittlungen kennt die Polizei nur Verdächtige, oft sind sie unschuldig. Rechtfertigen ein paar Hundert schwere Gewalttaten pro Jahr die Speicherung der Daten aller Bürger?
Man sollte nicht von vornherein auf ein Instrument verzichten, das allenfalls helfen kann, eine schwere Straftat aufzuklären. Wichtig ist, dass der Staat nur in klar begründeten Fällen auf die Daten zugreifen kann und ein Gericht das vorher genehmigt.
Gemäss Statistik haben die Fernmeldedienstanbieter letztes Jahr 8128 Überwachungsmassnahmen durchführen müssen. Das waren bestimmt nicht alles Schwerverbrechen.
Doch, die Gerichte können diese Massnahmen nur bei schweren Straftaten genehmigen.
Die Überwachung verursacht bei den Providern teure Investitionen. Diese Kosten überwälzen sie auf die Kunden. Müssen die Bürger für die eigene Überwachung zahlen?
Hier gibt es einen Interessenkonflikt: Die Strafverfolgungsbehörden möchten die Internetdaten möglichst günstig geliefert erhalten, und die Internetanbieter wiederum wollen für ihren Aufwand umfassend entschädigt werden. Und schliesslich verlangt das Parlament einen höheren Kostendeckungsgrad. Das geht nicht auf.
In der Verordnung hat der Bundesrat entschieden: Wir behalten die bisherige Praxis bei. Die Internetanbieter werden entschädigt für die Betriebskosten, die ihnen mit den Überwachungen entstehen. Für die Infrastruktur hingegen müssen sie selber aufkommen. Wie wir das künftig handhaben, wird der Bundesrat im Rahmen der Gesetzesrevision nun eingehend prüfen.