Angereicherte Lebensmittel: Gefahr der Überdosierung
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saldo 5/2000
15.03.2000
Lebensmittelhersteller wollen unsere Nahrungsmittel gesünder machen: Functional Food soll vor Herzinfarkt und Krebs schützen. Doch von den teuren Produkten profitieren vor allem die Hersteller.
Brot mit Omega-3-Fettsäuren aus Fischen, Joghurts mit Wunderbakterien, Milch mit einem Cocktail aus verschiedensten Vitaminen - die Regale sind voll von Produkten, die nicht nur appetitlich aussehen, fein schmecken und vor allerlei Wehwehchen schützen sollen. Den Rotwein aus der Kapsel ...
Lebensmittelhersteller wollen unsere Nahrungsmittel gesünder machen: Functional Food soll vor Herzinfarkt und Krebs schützen. Doch von den teuren Produkten profitieren vor allem die Hersteller.
Brot mit Omega-3-Fettsäuren aus Fischen, Joghurts mit Wunderbakterien, Milch mit einem Cocktail aus verschiedensten Vitaminen - die Regale sind voll von Produkten, die nicht nur appetitlich aussehen, fein schmecken und vor allerlei Wehwehchen schützen sollen. Den Rotwein aus der Kapsel gibts bereits, noch nicht auf dem Markt sind Edible Plant Vaccines. Zu Deutsch heisst das essbare Pflanzenimpfstoffe. Schon bald aber werden nach Ansicht der Forscher mit Impfstoffen angereicherte Kartoffeln oder Bananen die heute gängigen Schluckimpfungen ersetzen. Und künftig heisst es für die Konsumenten: Zu Risiken oder Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Bäcker oder die Serviertochter.
Mit riesigen Werbekampagnen macht die Industrie das Essen auf Rezept schmackhaft. Mit Erfolg: Das Wirtschaftsberatungs-Unternehmen Arthur D. Little rechnet im nächsten Jahrzehnt mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 15 und 20 Prozent, der Umsatz dürfte weltweit auf 15 bis 20 Milliarden Franken anwachsen.
Doch macht es wirklich Sinn, für Powerdrinks und Gesundheitsbananen tiefer ins Portemonnaie zu langen als für herkömmliche Nahrungsmittel? "Gewisse Zusätze haben ihre Berechtigung", sagt Renato Amadò, Professor für Lebensmittelchemie an der ETH Zürich. Als Beispiel nennt er Menschen mit Verdauungsproblemen: "Diese sollten täglich 30 bis 40 Gramm Ballaststoffe zu sich nehmen. Diese Menge erreicht man allein mit einem Müesli aber nicht. In einem solchen Fall macht ein mit Nahrungsfasern angereicherter Riegel Sinn."
Positive Wirkung von angereicherter Nahrung nach wie vor umstritten
Doch nicht in jedem Fall sind sich die Wissenschafter über die angestrebte positive Wirkung eines aufgepeppten Nahrungsmittels einig. So schreibt der Mikrobiologie-Professor Michael Teuber von der ETH den Erfolg der probiotischen Joghurts (zum Beispiel LC 1 von Nestlé) "in erster Linie einem geschickten Marketing" zu. Denn mit dem Wissen über das Treiben von Bakterien und Keimen in unseren Därmen sei es nicht weit her.
Und der Chemiker und Toxikologe Marcus Brian schreibt in seinem Buch "Essen auf Rezept": "Tatsächlich spricht allein die schiere Masse an Bakterien in unserem Gedärm nicht gerade dafür, dass sich die Flora eines gesunden Menschen allzu stark von probiotischen Keimen beeindrucken lässt." Selbst wenn ein Becher noch eine Milliarde Bakterien enthalte und ein Zehntel, also 100 Millionen, lebend im Dickdarm ankomme, "so sind das trotzdem höchstens 0,0001 Prozent dessen, was dort sowieso schon vorhanden ist und sich bereits bestens an den Wirt und dessen Ernährung angepasst hat".
Klare Worte. Doch für die Konsumenten bleibt die Situation verwirrend. Verweisen doch die Hersteller von Functional Food auf unzählige Studien, die wissenschaftlich eine positive Wirkung ihrer Produkte auf den menschlichen Körper nachweisen. Alles Schwindel?
Für Udo Pollmer, Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften, sind solche Arbeiten "meist Augenwischerei". Auch Professor Amadò räumt ein: "Oft werden Studien im Reagenzglas durchgeführt. Dabei lassen sich gewisse positive Auswirkungen gut darstellen." Ob die Folgen im komplizierten menschlichen Körper gleich sind, wird selten erforscht. Oder dann über eine zu kurze Zeit. "Es existieren keine Langzeitstudien", kritisiert der Lebensmittelchemiker. "Die meisten der gemachten Studien dauern drei Wochen."
Functional Food muss klar von den Heilmitteln abgegrenzt werden
Kein Mensch weiss, wie die Wirkungen in einem Jahr oder in fünf Jahren sind. Ausser den Marketingstrategen der Hersteller: Auf Hochglanzprospekten versprechen sie den Konsumenten, wie man Gesundheit essen kann. Ein Beispiel ist die neue Aviva-Gesundheitslinie von Novartis. Gemäss Prospekt wurden Riegel, Müesli, Guetzli und Drinks zur Prävention der drei grössten Gesundheitsrisiken in der Schweiz entwickelt - zu hohes C