Alles nur halb so gesund
Mit allen möglichen Werbetricks verkauft die Lebensmittelindustrie ungesunde Nahrungsmittel als Wellness-Produkte. Die EU will damit Schluss machen. Die Schweizer Behörden warten ab.
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saldo 12/2006
21.06.2006
Claudine Gaibrois
Ohne Fett», verk?ndet ein Smiley-Aufkleber auf den Yo-Gums von Katjes. Dass die Fruchtgummis aber haupts?chlich aus Zucker und Glukosesirup bestehen, wird unterschlagen. Dasselbe bei den Special-K-Red-Fruit-Getreideriegeln von Kellogg’s: Mit der Anpreisung «84 kcal pro Riegel» wird die schlankheitsbewusste Kundschaft zum Kauf animiert. Die St?ngel enthalten zwar tats?chlich weniger Fett als vergleichbare Produkte. Daf?r stecken in jedem Riegel 8 Gramm Zucker - das entspricht zweieinhalb St?...
Ohne Fett», verk?ndet ein Smiley-Aufkleber auf den Yo-Gums von Katjes. Dass die Fruchtgummis aber haupts?chlich aus Zucker und Glukosesirup bestehen, wird unterschlagen. Dasselbe bei den Special-K-Red-Fruit-Getreideriegeln von Kellogg’s: Mit der Anpreisung «84 kcal pro Riegel» wird die schlankheitsbewusste Kundschaft zum Kauf animiert. Die St?ngel enthalten zwar tats?chlich weniger Fett als vergleichbare Produkte. Daf?r stecken in jedem Riegel 8 Gramm Zucker - das entspricht zweieinhalb St?ck W?rfelzucker.
Nicht nur Fett, auch Zucker enth?lt viele Kalorien
«Mit solchen Anpreisungen verf?hrt die Nahrungsmittelindustrie die Kundschaft zu einem ungesunden Essverhalten», kritisiert Bettina Serafini vom Schweizerischen Verband diplomierter Ern?hrungsberaterinnen. «Wenn in einem Lebensmittel kein Fett drin ist, meinen viele Leute, sie k?nnten unbegrenzt viel davon essen», so die Erfahrung der Ern?hrungsfachfrau. Doch auch Zucker enth?lt ganz sch?n viele Kalorien: mit 4 Kilokalorien pro Gramm immerhin mehr als halb so viel wie Fett. Dieses kommt auf 7 Kilokalorien pro Gramm.
Den Eindruck eines besonders gesunden Lebensmittels erweckt auch der Aufdruck auf der Ovomaltine Crunchy Cream: «11 Vitamine, Calcium, Magnesium». Wer 100 Gramm des Brotaufstrichs isst, nimmt neben viel Zucker aber ?ber 30 Gramm Fett zu sich. Zum Vergleich: Eine 60 Kilogramm schwere Frau hat damit schon die H?lfte ihres t?glichen Fettbedarfs gedeckt - aber nur einen Drittel der empfohlenen Tagesdosis der gross angepriesenen Vitamine. Gem?ss Bettina Serafini ein g?ngiges Schema: «In den meisten F?llen muss man von solchen Produkten relativ viel essen, um den Tagesbedarf an Vitaminen zu decken.» Damit steigt aber gleichzeitig auch der Konsum an Fett und Zucker.
Nicht zu ?bertreffen sind in dieser Hinsicht Kakaogetr?nke: Die meisten Produkte werben gross mit Vitaminen, Hauptbestandteil ist allerdings bei allen Zucker. Nesquik Plus von Nestl? beispielsweise enth?lt volle 77 Gramm Zucker auf 100 Gramm.
EU will strengere Vorschriften durchsetzen
In der EU will man solch irref?hrende Werbung verbieten. Die Neuregelung sieht konkret vor: Lebensmittel, die zugleich viel Zucker und Fett enthalten, d?rfen gar keine Anpreisungen wie «reich an Vitaminen» mehr enthalten. Ist nur der Fett- oder der Zuckeranteil hoch, m?ssen die Hersteller das ebenso prominent deklarieren wie die Anpreisung. Auf der Packung steht dann zum Beispiel «mit vielen Vitaminen» und gleichzeitig «enth?lt viel Zucker».
Ab welchem Wert genau ein Lebensmittel als besonders reich an Zucker oder Fett gilt, ist noch offen. Erste Vorschl?ge liegen jedoch vor. Die britische Gesundheitsbeh?rde empfiehlt, ab 10 Gramm Zucker respektive 20 Gramm Fett pro 100 Gramm von einem hohen Gehalt zu sprechen.
Ringt sich die EU zu einer solchen neuen Regelung durch, werden m?glicherweise auch die Schweizer Konsumenten fr?her oder sp?ter davon profitieren. Denn das Bundesamt f?r Gesundheit (BAG) signalisiert, dass die EU-Regelung auch in der Schweiz nachvollzogen w?rde: «Es ist absehbar, dass aufgrund der strengeren Werbevorschriften in der EU diverse Verordnungen im Bereich Lebensmittel revidiert werden m?ssen», heisst es beim BAG. Zuerst wolle man aber die definitive Fassung der EU-Regelung abwarten.