Als Nora Schwieter (Name geändert) nach zehn Jahren die Pille absetzte, war ihr Zyklus durcheinander, ihre Mens blieb aus. Deshalb ging sie zur Frauenärztin, die feststellte: Bei Schwieter seien zu wenig Follikel vorhanden, sie sei womöglich unfruchtbar. Sie empfahl der Patientin eine Fruchtbarkeitsklinik. «Ich war völlig überrumpelt und habe nur noch geweint», sagt die 31-Jährige. Trotzdem vereinbarte sie einen Termin.
Doch je näher das Datum rückte, desto unsicherer wurde Schwieter. Sie beschloss, beim Hausarzt eine Zweitmeinung einzuholen. Er war über die Diagnose erstaunt und sagte, der Zyklus müsse sich nach dem Absetzen der Pille erst wieder einpendeln. Sie solle sich Zeit lassen. Eine Naturheilärztin gab ihr den gleichen Tipp. Schwieter sagte den Termin in der Klinik ab. Zudem nahm sie homöopathische Mittel und einen speziellen Kräutertee der Naturheilärztin. Drei Wochen später setzte die Periode ein, weitere drei Monate später war Nora Schwieter schwanger.
Seit einiger Zeit zeichnet sich in der Fortpflanzungsmedizin ein Trend ab: Viele Ärzte raten selbst dann zu einer künstlichen Befruchtung, wenn sie keinen Grund für die Unfruchtbarkeit finden können.
Kürzlich schrieben Fachleute im Fachblatt «British Medical Journal»: Heute würden Ärzte die Paare immer rascher überreden, ein Baby im Reagenzglas zu zeugen. Viele hätten jedoch gute Chancen, auf natürlichem Weg ein Kind zu bekommen. Die Forscher hatten mehrere Studien verglichen. Es zeigte sich: Häufig klappte die Schwangerschaft nach zwei bis vier Jahren, obwohl Ärzte zu einem Reagenzglas-Baby geraten hatten.
Auch in der Schweiz nehmen künstliche Befruchtungen zu. 2002 liessen sich rund 2400 Frauen erstmals behandeln, 2014 über 3800. Dies belegen Zahlen des Bundesamts für Statistik. Brisant: 2002 fand man bei rund 6 Prozent dieser Frauen keine Ursache für die Unfruchtbarkeit – zwölf Jahre später bereits bei 12 Prozent.
Fachleute stehen dieser Entwicklung kritisch gegenüber. Frauenärztin Lilian Saemann aus Solothurn: «Paare haben immer später Kinder und setzen sich unter Druck, wenns nicht sofort klappt.» Saemann rät Paaren, sich mindestens ein Jahr zu gedulden.
Urs Scherrer, Professor am Inselspital Bern, sagt: «Diese Zahlen lassen vermuten, dass Fortpflanzungsmediziner die Ungeduld von Paaren ausnutzen.»
Experten sind sich einig: Künstliche Befruchtung kann sinnvoll sein, wenn die Eileiter verklebt sind oder die Spermien nicht bis zur Eizelle vordringen können. Was viele nicht wissen: Das Risiko für Schäden beim Kind ist bei einer künstlichen Befruchtung viel höher als bei normaler Zeugung (Gesundheitstipp 5/16).
Urs Scherrer, der entsprechende Studien gemacht hat, sagt: «Kinder aus dem Reagenzglas weisen Veränderungen der Herz-Kreislauf-Funktion und des Zuckerstoffwechsels auf. Sie haben häufiger Fehlbildungen.» Das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Diabetes im späteren Leben sei bei diesen Kindern deutlich erhöht.
TIPP
- Setzen Sie sich nicht unter Druck
- Führen Sie ein Tagebuch über Ihre fruchtbaren Tage.
- Haben Sie an den fruchtbaren Tagen regelmässig Sex.
- Setzen Sie sich nicht unter Druck, wenn es in den ersten Monaten nicht klappt.
- Probieren Sie es mit Akupunktur oder Kräuten.
- Trinken Sie nur wenig Alkohol.
Weitere Infos: «Der unerfüllte Kinderwunsch – wie gehen wir damit um?» Die Broschüre gibts gratis bei: Appella.ch.