Laurent Vincent (Name geändert) ist gehbehindert und wohnt im fünften Stock eines Mehrfamilienhauses in Lausanne. Bisher hatte ihm die Pöstlerin eingeschriebene Briefe ­jeweils direkt an der ­Wohnungstür übergeben. «Doch Mitte Juli kam sie und sagte, dass sie mir keine eingeschriebenen Briefe mehr hinaufbringen könne. Ich müsse sie künftig auf der Post ­abholen», sagt Vincent gegenüber dem K-Tipp. 

Die zuständige Poststelle sei 20 Gehminuten von ­seiner Wohnung entfernt. Weiter habe die Pöstlerin zu ihm noch gesagt: Wenn sie erwischt werde, weil sie die neue Anordnung nicht befolge, müsse sie mit Konsequenzen rechnen.

Etagenlieferung abgeschafft

Die Post bestätigt auf Anfrage, dass die sogenannte Etagenlieferung in der Westschweiz diesen Herbst abgeschafft wird. Bisher war es so: Wenn beim Haus­eingang eines mehrstöckigen Gebäudes die Türklingeln fehlten, stellten die Briefträger Sendungen mit Zustellnachweis (zum Beispiel Einschreiben oder Gerichtsurkunden) auf der Etage zu. Künftig erhalten die Adressaten nur noch eine Abholungseinladung in den Briefkasten beim Hauseingang. Postsprecherin Jacqueline Bühlmann sagt, die Bevölkerung sei mit einem Flyer über diese Änderungen informiert worden.

Ausgenommen von der neuen Regelung seien Personen mit eingeschränkter Mobilität oder behinderte Menschen, die den Briefträgern bekannt seien. Weshalb die Lausanner Briefträgerin gegenüber Laurent Vincent verlauten liess, sie müsse mit Konsequenzen rechnen, wenn sie die Post weiterhin hochbringe, liess Bühlmann unbeantwortet.

Was viele nicht wissen: In der Deutschschweiz gilt diese Zustellpraxis laut Bühlmann schon seit Jahren. Trotzdem kam es auch hier jüngst zu einem ähnlichen Zwischenfall wie in Lausanne. Davon betroffen war eine Anwaltskanzlei in der Stadt Zürich, die seit Jahren im zweiten Stock eines Hauses eingemietet ist.

«Anfang Juni wurden wir von unserer Briefträgerin informiert, dass sie die eingeschriebenen Briefe künftig nicht mehr in den zweiten Stock zustellen könne. Es sei denn, wir würden eine Pauschalgebühr von 1400 Franken pro Jahr bezahlen», sagt Jürg Oskar Luginbühl, ­einer der betroffenen Rechts­anwälte.

Doch warum soll die ­Zustellung der eingeschriebenen Briefe nun plötzlich etwas kosten? Und dann gleich noch 1400 Franken?

Post spricht von «Missverständnis»

Auf Nachfrage des K-Tipp krebst die Post zurück. Es handle sich um «ein Missverständnis», erklärt Sprecherin Jacqueline Bühlmann. Wie es zu diesem Missverständnis und zur erwähnten Aussage der Briefträgerin betreffs Pauschalgebühr kam – da­rüber schweigt sich die Post allerdings aus.