Der Nationalrat zeigt dem Service public die kalte Schulter: Am 8. September versenkte er eine Vorlage, die die Grund­versorgung mit einem ­Verfassungsartikel stärken wollte. Nur eine knappe Woche später versagte er auch der Volksinitiative «Pro Service public» jeg­liche Unterstützung.

Das Volksbegehren wurde Ende Mai 2013 vom K-Tipp und seinen Partnerzeitschriften «Saldo», «Bon à Savoir» und «Spendere Meglio» eingereicht. Es wendet sich gegen Tarifaufschläge und Service­abbau bei den Bundes­betrieben und will auch den überbordenden Löhnen in den Chefbüros von Swisscom, SBB, Post & Co. einen Riegel schieben.

Über 30 Nationalräte traten in der Debatte zum  Service public ans Rednerpult. Gebetsmühlenartig be­haupteten sie immer wieder, die Initiative führe zu einer Schwächung der Bundesbetriebe, weil sie es diesen verbiete, Gewinne zu machen und Quersubventionierungen vorzunehmen. Beides trifft nicht zu:

  • Von einem Gewinnverbot ist im Initiativtext nirgends die Rede. Nur das Streben nach möglichst hohen – von den Kunden über stetig steigende Preise finanzierten – Gewinnen soll ausgeschlossen werden. Fallen Gewinne an, müssten sie zur Bildung von ­Reserven und für den Ausgleich von Verlusten ein­gesetzt werden.
  • Quersubventionierungen innerhalb der Betriebe – bei der Bahn etwa zwischen Güter- und Personenverkehr – verbietet der Initiativtext nicht. Es soll aber kein Geld aus der Grundversorgung in andere Verwaltungsbereiche wie Militär oder Landwirtschaft fliessen. Das stellt ­sicher, dass z. B. Postgewinne für die Post und Bahngewinne für die Bahn verwendet werden.

Dass das Volksbegehren im Nationalratsaal einen schweren Stand hatte, erstaunt nicht. Denn die Bundesbetriebe und ihre Interessenvertreter pflegen enge Kontakte zu zahl­reichen Parlamentsmitgliedern, von denen mehrere in der Debatte das Wort ergriffen. Einige Beispiele:

Edith Graf-Litscher (SP/ TG) ist Vorstandsmitglied des Schweizerischen Verbands der Telekommu­nikation (Asut) – ebenso Swisscom-Chef Urs Schaep­pi. Die beiden sitzen auch im Vorstand der Gesellschaft Glasfasernetz Schweiz. Weitere Mitglieder laut Website: die Nationalräte Thomas Hurter (SVP/SH), Martin Bäumle (GLP/ZH), Martin Lan­dolt (BDP/GL), Fabio Regazzi (CVP/TI) und Viola Amherd (CVP/VS) sowie die Ständeräte Peter Bieri (CVP/ZG) und Raphaël Comte (FDP/NE).
Graf-Litscher bildet ausserdem zusammen mit Bernhard Guhl (BDP/AG), Thomas Maier (GLP/ZH), Ruedi Noser (FDP/ZH) und Natalie Rickli (SVP/ ZH) das Kernteam der sogenannten ePower-Initia­tive. Sie will erreichen, «dass das Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologien in der Schweiz besser genutzt wird». Und sie ist Teil der von Nationalrat Noser präsidierten «ICT Switzerland Information & Communication Technology». Auch die Post und die Swisscom sind dabei. 
In der ePower-Initiative machen 34 National- und 9 Ständeräte mit. Geleitet wird sie von Andreas Hugi – gemäss Website Lobbywatch.ch ist er Verwaltungsratspräsident von «Furrerhugi.Publicaffairs», einer Lobby-Agentur, die unter anderem für die Post und Swisscom arbeitet.
Weiter wirkt Edith Graf-Litscher im Vorstand des Info-Dienstes für den öffentlichen Verkehr (Litra) mit. Hier kann sie sich mit 19 Parlamentskollegen austauschen – 12 aus dem National- und 7 aus dem Ständerat. Und mit den SBB-Spitzenkadern Andreas Meyer, Jeannine Pilloud, Philippe Gauderon und Nicolas Perrin. Und mit Post-Konzernleitungsmitglied Daniel Landolf sowie mit Ueli Stückel­berger, Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV).

Martin Candinas (CVP/ GR) macht im Litra-Vorstand und bei der ePower-Initiative ebenfalls mit. Auch gehört er – wie SBB-Lobbyist Bernhard Meier – zum Beirat des Schweizer Tourismusverbands, in dessen Vorstand wiederum VöV-Direktor Stü­ckel­ber­ger zu finden ist. Und eine der zwei Zutritts­karten zum Bundeshaus, mit denen ­jedes Parlamentsmitglied Personen seiner Wahl beglücken darf, hat Candinas an Matthias Dietrich vergeben, seines Zeichens Leiter Politik und Internationales bei der Post.

Auch Bernhard Guhl (BDP/AG) ist bei der ­ePower-Initiative dabei. Und er verschafft Stefan Kilchenmann, Leiter Public Affairs von Swisscom, Zutritt zum Bundeshaus.

Im Litra-Vorstand und  an der ePower-Initiative betätigt sich auch Jürg Grossen (GLP/BE). Er sitzt zudem im Vorstand des Verbands Swiss eMobility – ebenso wie Nationalrat Marco Romano (CVP/ TI), Anne Wolf, Leiterin Nachhaltigkeit der Post, und Paul Liebrecht vom Swisscom-Geschäftsbereich Managed Mobility. Beide Unternehmen sind Mitglied bei Swiss eMobi­lity.

Dominique de Buman (CVP/FR) ist Präsident des Verbandes Seilbahnen Schweiz – und VöV-Direktor Ueli Stückelberger Geschäftsleiter. Die beiden treffen sich auch im Vorstand des Tourismus-Verbands, dessen D­i­rek­torin Barbara Gisi auf Einladung von de Buman Zutritt zum Bundeshaus hat.

Keine Transparenz über Parteispenden

Für Stückelberger selber stehen die Bundeshauspforten ebenfalls offen: Er besitzt eine Zutrittskarte durch Karl ­Vogler (CSP/ OW). Stefan Nünlist wiederum, Leiter der Swisscom-Unternehmenskommunikation, kann dank Lorenz Hess (BDP/BE) im Bundeshaus wirken – und Post-Lobbyist François Tis­sot-Daguette dank Lucrezia Meier-Schatz (CVP/ SG).

Bereits diese Beispiele zeigen: Der Wege sind viele, wenn es für die Bundesbetriebe darum geht, sich auf politischem Parkett Gehör zu verschaffen. SBB, Post und Swisscom sagen aber, dass sie die Parteien nicht mit Spenden unterstützen würden. 

Pikant: Vor knapp drei Jahren wollte der parteilose Schaffhauser Ständerat Thomas Minder unter anderem die Bundesbetriebe verpflichten, in der Jahresrechnung «alle Zuwendungen an politische Akteure» wie Parteien, Verbände und Abstimmungskomitees offenzulegen. Sein Vorstoss war im Parlament chancenlos.

Auf Parteischienen

Ulrich Gygi ist Präsident des SBB-Verwaltungsrats – und SP-Mitglied. Andrea Hämmerle, Peter Siegenthaler und Daniel Troillet sind SBB-Verwaltungsräte – und SP-Mitglieder. Hans Werder ist Swisscom-Verwaltungsrat – und SP-Mitglied. Peter Hasler ist Präsident des Post-Verwaltungsrats – und FDP-Mitglied. Kathrin Amacker ist Mitglied der SBB-Konzernleitung – und ehemalige CVP-Nationalrätin. Das zeigt: Der Austausch zwischen Bundesbetrieben und Politik kann auch auf Parteischienen erfolgen.

Gehören gar noch weitere Mitglieder der Verwaltungsräte und Konzernleitungen von SBB, Post und Swisscom einer politischen Partei an? Auf diese Frage verweigerten alle drei Unternehmen die Antwort.