Schweizer zahlen viel zu viel
Die Gesundheitskosten werden künstlich hoch gehalten. Allein bei den Medikamenten könnten jährlich 940 Millionen Franken gespart werden.
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saldo 1/2004
21.01.2004
Daniel Bouhafs
Die Ausgaben für Medikamente steigen jährlich um durchschnittlich 9 Prozent, ohne dass mehr Medikamente geschluckt werden (siehe saldo 15/03). Ihr Anteil an der Grundversicherung beträgt inzwischen 21,6 Prozent oder satte 4,4 Milliarden Franken. Aber mindestens 940 Millionen Franken wären ohne Probleme einzusparen.
Beispiel Blutdrucksenker: Herzkrankheiten, Schlaganfälle und Infarkte - zusammen sind sie für mehr als die Hälfte aller Todesfälle verantwortlich. Bereits in de...
Die Ausgaben für Medikamente steigen jährlich um durchschnittlich 9 Prozent, ohne dass mehr Medikamente geschluckt werden (siehe saldo 15/03). Ihr Anteil an der Grundversicherung beträgt inzwischen 21,6 Prozent oder satte 4,4 Milliarden Franken. Aber mindestens 940 Millionen Franken wären ohne Probleme einzusparen.
Beispiel Blutdrucksenker: Herzkrankheiten, Schlaganfälle und Infarkte - zusammen sind sie für mehr als die Hälfte aller Todesfälle verantwortlich. Bereits in den Sechzigerjahren entwickelte die Pharmaindustrie wirkungsvolle Präparate, und immer mehr kamen seither dazu. Was die meisten Konsumenten nicht wissen: Die neuen und teureren Medikamente sind nicht besser als ihre Vorgänger.
Studie: Weniger Nebenwirkungen mit altem Wirkstoff
Das Ergebnis einer achtjährigen Massenstudie in den USA, bei der 42 000 Patienten mit fünf Blutdrucksenkern behandelt wurden, traf die Pharmabranche wie ein Donnerschlag: Chlorthalidon - ein alter harntreibender Wirkstoff (Diuretikum) - stahl der Konkurrenz die Show. Er verursacht weniger Nebenwirkungen als die bis zu sechsmal teureren Alphablocker, Betablocker, Kalzium-Antagonisten und ACE-Hemmer.
Hinzu kommt der finanzielle Aspekt. Der Krankenkassenverband Santésuisse sieht allein für die Schweiz ein Einsparpotenzial von über 250 Millionen Franken: «Wir könnten die Kosten für die Blutdruckbehandlung um 40 Prozent reduzieren, wenn 80 Prozent der betroffenen Patienten mit Diuretika behandelt würden», sagt Sprecher Peter Marbet.
Unausgeschöpfte Sparmöglichkeiten ortet Josef Hunkeler, Spezialist für Medikamente beim Preisüberwacher, auch bei allen anderen Medikamenten: «Der Ausland-Preisvergleich zeigt, dass die Mittel nochmals um weitere 500 Millionen Franken verbilligt werden könnten.» Und laut Fritz Britt, Vizedirektor beim Bundesamt für Versicherungen, könnten 13 Prozent der heutigen Medikamente als Generika abgegeben werden. Zusätzliche Einsparung: 190 Millionen Franken.
Was sowohl den Preiswächtern als auch den Krankenkassen zunehmend Kopfschmerzen bereitet, ist die Flut von sogenannten Analog-Präparaten - das sind Nachfolgemedikamente aus der gleichen Wirkstoffgruppe. Für den Pharmakritiker und Arzt Etzel Gysling sind Analoga zwar gelegentlich etwas besser verträglich, aber «eine Verbesserung der Wirksamkeit gibt es nur selten».
Abschaffung des 13-jährigen Preisschutzes gefordert
Weil Analog-Medikamente teurer sind, schlägt Josef Hunkeler bei der Zulassung dieser Gruppe eine Zeitlimite vor: «Kommen die Hersteller mit ihren Präparaten ein Jahr nach der Ersteinführung auf den Markt, müsste ein Verspätungsabschlag auf dem Preis gewährt werden. Es sei denn, die Firma könnte belegen, dass ihr neuer Wirkstoff tatsächlich besser ist.» Schliesslich müsse auch jeder Computer-Hersteller, der zu spät komme und keine bessere Leistung anzubieten habe, sein Gerät zu einem tieferen Preis offerieren.
Ähnlich tönt es bei Santésuisse. Peter Marbet fordert klar die Abschaffung des 13-jährigen Preisschutzes: «So könnten regelmässig Preisabschläge gemacht werden, wenn ein neues Medikament die Versprechungen nicht erfüllt.»
Beim Branchenverband Interpharma stossen diese Forderungen auf Widerstand: «Wir lehnen ein solches Vorgehen entschieden ab, weil es gegen das im Bundesrecht verankerte Gleichbehandlungsprinzip verstösst», sagt Thomas Cueni, Generalsekretär der Interpharma. «Zudem haben wir uns bereit erklärt, die Preise neuer Medikamente nach 24 Monaten nochmals zu überprüfen und - wenn erwiesen - die Differenz zurückzuzahlen.»
Vermarktung kostet doppelt so viel Geld wie die Forschung
Doch kräftig sparen liesse sich auch in einem anderen Bereich. Das Kerngeschäft ist nicht mehr die Forschung, sondern das Marketing: Nur noch 18 Prozent des Umsatzes werden in die Entwicklung neuer Mittel investiert, während in die Vermarktung doppelt so viel gesteckt wird. «Als Faustregel gilt, dass für die Bekanntmachung eines Medikaments der doppelte Betrag ausgegeben wird. Cueni: «Das ist Teil der Business-Rechnung.»