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Gesundheitstipp 3/2000
03.03.2000
Patienten müssen vor Operationen nicht stundenlang fasten.
Seit Jahrzehnten gilt: Vor einer Operation ist Essen und Trinken tabu. Untersuchungen zeigen aber, dass Trinken für Patienten Vorteile hat. Doch Chirurgen fällt der Abschied von der alten Fastenregel schwer.
Jeder Spital-Patient kennt die Routine: Am Abend vor der Operation verkündet die Schwester. "Ab jetzt ist Schluss!" Schluss mit allem, was den Magen füllt. Essen und trinken dürfen die Patienten er...
Patienten müssen vor Operationen nicht stundenlang fasten.
Seit Jahrzehnten gilt: Vor einer Operation ist Essen und Trinken tabu. Untersuchungen zeigen aber, dass Trinken für Patienten Vorteile hat. Doch Chirurgen fällt der Abschied von der alten Fastenregel schwer.
Jeder Spital-Patient kennt die Routine: Am Abend vor der Operation verkündet die Schwester. "Ab jetzt ist Schluss!" Schluss mit allem, was den Magen füllt. Essen und trinken dürfen die Patienten erst wieder nach dem Eingriff - so will es die alte Regel. Ärzte möchten die Patienten nur vollkommen nüchtern auf dem OP-Tisch sehen.
Der Grund: Seit den Anfängen der Anästhesie haben die Ärzte Respekt vor der so genannten Aspiration. Der betäubte Patient könnte unbemerkt Mageninhalt erbrechen. Gerät Mageninhalt in die Atemwege, besteht Erstickungsgefahr.
"Diese Lehre ist völlig veraltet", sagt Andreas Gerber, Anästhesie-Chefarzt am Kinderspital Zürich. Er sieht hier ein "falsches Sicherheitsbedürfnis", das die Forschung längst widerlegt habe. Gerbers kleine Patienten dürfen bis zu vier Stunden vor dem Eingriff etwas essen, bis zu zwei Stunden vorher noch klare Flüssigkeiten trinken. Narkose-Probleme hat der Chefarzt deswegen noch nie erlebt. Und: "Es gibt keinen medizinischen Grund, weshalb das bei Erwachsenen anders sein sollte."
Tatsächlich haben die ärztlichen Fachgesellschaften weltweit seit Ende der Achtzigerjahre die alte Regel aufgegeben. Es gibt nämlich keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass die Hunger- und Durstkur die Aspiration verhindert. Vier von fünf Patienten haben ohnehin keinen leeren Magen, sogar wenn sie vor der Operation seit Stunden gefastet haben.
Wer trinken darf, fühlt sich wohler vor der Operation
Getränke sind meist schon nach einer Stunde aus dem Magen verschwunden. Seit zehn Jahren steht fest: Sogar unbegrenztes Wasser-trinken bis zu zwei Stunden vor dem Eingriff ändert nichts am Mageninhalt. Dafür fühlen sich die Patienten wohler und haben weniger Angst vor der Operation.
Aus diesem Grund begann Kanada bereits 1987, die Trink-Empfehlungen zu ändern. Nach und nach folgten die Fachgesellschaften der skandinavischen Länder und der USA. Mittlerweile erlauben die meisten anästhesiologischen Fachgesellschaften auch in den EU-Staaten, dass die Patienten bis zu zwei Stunden vor einem Eingriff trinken dürfen.
Anders in der Schweiz: Hier hat die Gesellschaft für Anästhesiologie nicht einmal schriftliche Regeln, die sich mit Essen und Trinken vor Operationen befassen. Dabei räumt Präsident Beat Meister ein, dass die Unschädlichkeit klarer Getränke bis zu zwei Stunden vor Operationen seit Jahren unbestritten ist.
An seinem Arbeitsplatz, der Privatklinik Beau Site in Bern, ist dieser Service seit Jahren Standard. Dennoch will Meister nicht, dass die Gesellschaft für Anästhesiologie entsprechende Empfehlungen herausgibt. "Man muss den Spitälern da ihre Freiheit lassen. Es gibt schliesslich konservative und fortschrittliche Ärzte."
Noch ist in fast allen Spitälern Fasten angesagt
So wird es für Patienten zur Glücksfrage, ob sie vor Operationen nach dem Stand der Forschung versorgt werden. Das Kantonsspital Chur zum Beispiel verbietet Erwachsenen Essen und Trinken ab Mitternacht vor dem Eingriff. Ist die Operation erst später am Tag geplant, bedeutet das oft mehr als zwölf Stunden Wartezeit mit knurrendem Magen und trockenem Hals.
Das Kantonsspital Basel hat eine sechsstündige Wartezeit. Nur bei Kindern sind beide Spitäler weniger streng. Der Grund: Kinder sind unbequem. "Sie wachen in der Nacht auf und schreien, wenn sie Hunger und Durst haben", erklärt Albert Urwyler, stellvertretender Chefarzt in Basel.
Guido Schüpfer, Oberarzt am Kantonsspital Luzern, verlangt von Patienten, die zum ambulanten Operieren kommen, dass sie seit mindestens sechs Stunden weder gegessen noch getrunken haben. Kranke, die schon im Spital sind, werden ab Mitternacht des Vortages kurz gehalten.
Im benachbarten Kantonsspital Uri in Altdorf scheint sich dagegen der Fortschritt langsam durchzusetzen. Zwar fordert Anästhesist Wo