Patientenorganisationen am Tropf der Pharmaindustrie
Sie wollen eigentlich die Interessen der Patienten vertreten. Doch so manche Patientenorganisation nimmt Hilfe von Pharmaunternehmen an - und setzt so ihre Unabhängigkeit aufs Spiel.
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saldo 15/2005
28.09.2005
Silvia Baumgartner
Gespannt lauschen im Zelt vor dem Kantonsspital Olten etwa 200 Zuschauer den Ausführungen eines Arztes. Sie leiden mit, als ein Betroffener - sichtlich gezeichnet vom Krebs - schildert, wie er nur dank neuer Therapien überlebt hat. Zum zweiten Welt-Lymphomtag am 15. September 2005 eingeladen haben die Patientenorganisation der Lymphombetroffenen (Krebserkrankung des Lymphsystems) und die Krebsliga. Organisiert und mitfinanziert hat den Anlass die Basler Pharmafirma Hoffmann-La Roche. Nirgends ...
Gespannt lauschen im Zelt vor dem Kantonsspital Olten etwa 200 Zuschauer den Ausführungen eines Arztes. Sie leiden mit, als ein Betroffener - sichtlich gezeichnet vom Krebs - schildert, wie er nur dank neuer Therapien überlebt hat. Zum zweiten Welt-Lymphomtag am 15. September 2005 eingeladen haben die Patientenorganisation der Lymphombetroffenen (Krebserkrankung des Lymphsystems) und die Krebsliga. Organisiert und mitfinanziert hat den Anlass die Basler Pharmafirma Hoffmann-La Roche. Nirgends ist aber ein Roche-Logo zu sehen. Die Firmenvertreterin hält sich im Hintergrund und trägt kein Namensschild.
Es kommt öfter vor, dass Patientenorganisationen und Pharmaindustrie zusammenspannen. Nicht immer legen sie ihre Zusammenarbeit offen. «Wieweit Selbsthilfe- und professionelle Patientenorganisationen durch Pharmafirmen unterstützt werden, ist sehr undurchsichtig», klagt Vreni Vogelsanger, Geschäftsführerin der Stiftung Kosch, der Koordinationsstelle für Selbsthilfegruppen in der Schweiz.
Tatsächlich läuft das Sponsoring subtil ab: Die Pharmaindustrie finanziert und organisiert einen Anlass, übernimmt Teile der Öffentlichkeitsarbeit, bezahlt Gestaltung und Druck von Prospekten, besorgt den Internetauftritt oder lädt ein zu internationalen Kongressen.
Patientenverein: Von Pharmafirmen selbst gegründet
Novartis finanzierte etwa die neue Internetseite von Donna Mobile mit, der Arbeitsgemeinschaft Osteoporose Schweiz (www.osteoswiss.ch). Dementsprechend enthält sie umfangreiche Ausführungen, wie gewisse Wirkstoffe den Knochenschwund günstig beeinflussen können. Natürlich hat Novartis entsprechende Arzneimittel im Sortiment.
Liegt der Pharmaindustrie eine Krankheit am Herzen, wartet sie nicht, bis sich die Patienten zusammentun. Sie gründet der Einfachheit halber selber einen Verein. So geschehen im Fall des Reizdarms, des Irritable Bowel Syndromes (IBS). Die Pharmafirmen Novartis und Solvay gründeten im Jahr 2000 kurzerhand die Interessengemeinschaft Irritable Bowel Syndrome (IG IBS). Die Geschäftsführung übertrugen sie einem Büro für Öffentlichkeitsarbeit in Bern. Der Hintergrund: Novartis wollte den Markt für sein Reizdarm-Medikament Zelmac ankurbeln («Puls-Tipp» 2/03). Seit September 2004 nimmt sich die Interessengemeinschaft auch Menschen mit Magenbrennen an. «Viele von Reizdarm betroffene Personen leiden zusätzlich unter Symptomen wie Magenbrennen, was zum Entschluss führte, das Tätigkeitsfeld der Interessengemeinschaft auf den gesamten Magen-Darm-Trakt auszuweiten», heisst es in einer Erklärung.
Für den Arzt und Pharmakritiker Etzel Gysling gehört aber «Magenbrennen nicht zum typischen Bild des Reizdarms». Fest steht indes, dass Astra Zeneca im Jahr 2004 der umgetauften Interessengemeinschaft IG Magen-Darm beitrat. Die Firma verkauft das Medikament Nexium - ein Mittel gegen Sodbrennen.
Forderung: Patienten in die Chefetage der Organisationen
Es gibt auch Patientenorganisationen, die das Engagement Dritter offen legen. Sie glauben, ihre Unabhängigkeit wahren zu können. «Wir sind nebst anderen Sponsoren zu 35 Prozent von der Pharmaindustrie finanziert», sagt etwa Felix K. Gysin, Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Schmerzpatienten. «Wir entgehen der Gefahr der Abhängigkeit und Einflussnahme dadurch, dass wir ein Pool-Sponsoring aufgebaut haben.» Je mehr Geldgeber sich finden, umso kleiner sei die Einflussmöglichkeit des Einzelnen.
Die zunehmende Einflussnahme der Pharmaindustrie missfällt auch der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Patienteninteressen (SAPI). Sie befürchtet, dass das Sponsoring die Unabhängigkeit der Patientenvereine untergräbt. Vor drei Jahren hat sie deshalb eine Charta formuliert, die die Patientenorganisationen befolgen sollten, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren. Darin empfiehlt sie unter anderem, dass Patienten in der Leitung der Vereinigungen vertreten sind.
In der Realität kommt so manche Patientenorganisation ohne Patienten in den Führungsgremien aus. Im sechsköpfigen Vorstand von Donna Mobile beispielsweise ist kein Osteoporose-Betroffener. Genauso blieben der Präsident und der Geschäftsführer der IG Magen-Darm bislang von derlei Beschwerden verschont.
Rekrutierung von Patienten für neue Studien
Durch ihr Sponsoring schlagen die Pharmafirmen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: «Man kann so Patienten gezielt über medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten informieren, und sie gehen dann bereits mit dem Behandlungsvorschlag zum Arzt und üben auf diesen Druck aus», sagt Etzel Gysling. Zudem kann die Pharmaindustrie so leicht Patienten für Studien rekrutieren. So bestätigt die IG Magen-Darm, dass sie auch entsprechende Aufrufe auf ihrer Homepage publiziert.
Die Pharmaindustrie bestreitet alle diese Vorwürfe und betont ihre hehren Absichten. Novartis-Sprecher Chris Lewis bezeichnet die Hilfe für Patientenorganisationen «als ein Teil unseres Engagements im Rahmen der gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens». Von einem indirekten Druck auf die Ärzte oder einer Umgehung des Werbeverbotes könne keine Rede sein.