Mitte August, Wien Westbahnhof: Ein weisser Doppelstockzug mit blau-grünen Zierstreifen fällt am Bahnsteig 3 ins Auge. Bei den Eingängen haben sich junge Damen in Uniformen postiert. Sie heissen die Einsteigenden willkommen und machen auf die Gepäckablagen mit Kabelschlössern aufmerksam. Die moderne Zugskomposition gehört dem mehrheitlich privaten Unternehmen Westbahn GmbH, das seit Dezember 2011 auf der Strecke Wien–Salzburg die Öster­rei­chi­schen Bundesbahnen (ÖBB) herausfordert. Verwaltungsratspräsident ist der Schweizer Benedikt Weibel. Er war von 1993 bis 2006 Chef der SBB.


Innenausstattung viel luxuriöser als bei den Zürcher S-Bahnen

Die Westbahn verwendet klimatisierte Doppelstock-Triebzüge des Thurgauer Unternehmens Stadler Rail. Dieselben Züge setzen die SBB auf der Zürcher S-Bahn und ab Dezember auf Regio-Express-Zügen ein (saldo 7/12). Im Gegensatz zu den SBB hat die Westbahn bei der Innenausstattung nicht geknausert: Je zwei bequeme, verstellbare Ledersitze mit viel Beinfreiheit und beidseitigen Armlehnen sind Standard. Dazu kommt ein ausklappbares Tischchen. Jeder Platz verfügt über eine Steckdose und schnelles Gratis-WLAN, das bei der Testfahrt einwandfrei funktionierte. Weiter finden sich in den Zügen Bistrozonen mit Extrasitzen, wo Getränke und Snacks zur Auswahl stehen.


Die meisten Fahr­­gäste kaufen ihr Billett direkt im Zug

Die geschlechtergetrennten WCs hinterlassen einen sauberen Eindruck. Das ist auch das Verdienst der Zugbegleiterinnen. Pro Zug sind in der Regel sechs von ihnen im Einsatz. Sie werfen einen Blick auf die Toiletten und packen allen Abfall in «Plastiksackerl» ein, da Abfallkübel im ganzen Zug fehlen. Die Hauptaufgabe der Damen ist der Billettverkauf. In einen Westbahn-Zug können Reisende spontan einsteigen und ohne Aufpreis ein Ticket lösen. Nur wenige Fahrgäste kaufen eine Fahrkarte übers Internet oder am Kiosk. Die 317 Kilometer von Wien nach Salzburg kosten umgerechnet 30 Franken (einfach). Bei den ÖBB zahlt man für ein Standardticket 2. Klasse rund das Doppelte, Fr. 59.90. Zum Vergleich: Zwischen Baden AG und Genf-Flughafen legen SBB-Reisende 313 Bahnkilometer zurück und bezahlen 78 Franken.

Ein Schnäppchen ist bei der Westbahn das Upgrade «Westclub» für 9 Franken extra. Die Sitze sind zwar dieselben wie in der Normalklasse, doch bleibt der Nebenplatz garantiert leer und ein grosser Tisch steht zur Verfügung. Zudem ist eine Tageszeitung inbegriffen sowie ein Getränk, das an den Platz gebracht wird.


ÖBB: Weniger Leistung zu einem teureren Preis

saldo hat auch den ÖBB-Schnellzug zwischen Salzburg und Wien getestet. Punkto Sitzkomfort in der Normalklasse hat die Westbahn die Nase vorn. Hingegen reist es sich in den ÖBB-Sesseln der 1. Klasse eindeutig bequemer. Das hat seinen Preis: umgerechnet stolze Fr. 104.90. Eine Gratis-Tageszeitung gehört auch in der 1. Klasse der ÖBB zum Service, nicht aber ein Getränk.

Ein Speisewagen ist auf der Testfahrt nicht vorhanden. Auch WLAN gibt es in den ÖBB-Waggons nicht. Aber es sind genügend Abfalleimer vorhanden, und jeder Platz ist mit einem Leselämpchen ausgerüstet.

Das männliche ÖBB-Zugteam ist freundlich, kann aber punkto Präsenz mit den Zugbegleiterinnen in der Westbahn nicht mithalten. Das zeigt sich am Zielort Salzburg, wo die Chef-Zugbegleiterin die Passagiere herzlich mit einem «Bhüet euch» verabschiedet. Fazit: Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist bei der Westbahn klar besser als bei den ÖBB.

Zurück in der Schweiz heisst es, die Ansprüche deutlich runterschrauben. Der Schnellzug Zürich–Winterthur ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt. In den betagten Waggons mit ihren Uraltsitzen herrschen Bedingungen wie in einer Sauna. Das WC im Wagen ist ein verdrecktes Plumpsklo.


Private Konkurrenz auf der Paradestrecke


Seit dem 11. Dezember 2011 ist die mehrheitlich private Gesellschaft Westbahn auf der Strecke Salzburg–Wien unterwegs. Die Triebzüge verkehren im Stundentakt und konkurrenzieren die Staatsbahn ÖBB. Eigentümer der Westbahn sind die französische Staatsbahn SNCF, der österreichische Bau­unter­neh­mer Hans Peter Haselsteiner sowie die Schweizer Beteiligungsgesellschaft Augusta-Holding AG.

Die Europäische Union hat bereits vor über 20 Jahren die Weichen zur Liberalisierung des Schienenverkehrs gestellt. Die EU-Mitgliedsländer haben sich verpflichtet, Infrastruktur und Betrieb strikt zu trennen. Während im Güterverkehr die Richtlinie relativ rasch umgesetzt wurde, gibt es beim Personenverkehr bis heute kaum private Bahnunternehmen. Gründe: finanziell wenig attraktive Strecken, aber auch die Widerstände der jeweiligen Staatsbahnen.

Auch die ÖBB legen der unliebsamen Konkurrentin Westbahn Steine in den Weg. Die Privatbahn musste lange kämpfen, um überhaupt in die Fahrpläne der ÖBB aufgenommen zu werden.

In der Schweiz sind die rechtlichen Grundlagen für eine Nutzung des SBB-Schienennetzes durch private Unternehmen vorhanden.


Umfrage: Gute Noten für die Westbahn


saldo hat Passagiere von ÖBB und Westbahn nach ihrer Meinung zur neuen Westbahn gefragt. Informatiker Josef Widel: Die Westbahn habe die ÖBB gezwungen, über den Service nachzudenken. Begeistert ist der 48-Jährige vom einfachen und leicht verständlichen Web-Auftritt. «Bei den ÖBB ist es ein Drama, wenn man übers Internet Fahrkarten kaufen will.» Und er schätzt es, dass man die Billette im Zug kaufen kann. 

Gute Noten verteilt auch der Rentner Hans Geistinger. Pluspunkte seien der Preis, der Billettverkauf im Zug sowie die Freundlichkeit des Personals. Störend sei, dass die Westbahn wegen geringer Auslastung am Abend einen Zug gestrichen habe.

Die 39-jährige Claudia Fischer lobt: «Hier findet man leichter einen Platz als bei den ÖBB, wo die Wagen häufig überfüllt sind.» Auch mag sie die Kaffeebereiche und komfortablen Sitze. «Nervig» findet sie, dass es keine Abfallkübel gibt.

Wenig begeistert äussern sich Fahrgäste der ÖBB zur Westbahn. Evi Dür (25) ist vor allem der tiefere Preis der Westbahn aufgefallen. Sonst würden kaum Unterschiede bestehen.


Initiative «pro service public»: Unterschreiben Sie!


Mit der Volksinitiative «Pro Service public» wollen saldo und ­der «K-Tipp» dafür sorgen, dass Bundes­betriebe wie SBB, Post und Swisscom den Bürgern in erster Linie einen guten und be­zahl­ba­ren Service bieten.

Rund 50 000 Personen haben die Initiative bereits unterschrieben. Unter­schrif­ten­bo­gen können Sie bestellen bei: «K-Tipp», «Pro Service public», Postfach 431, 8024 Zürich, oder Tel. 044 266 17 17. Die Bogen lassen sich auch unter www.proservicepublic.ch herunterladen («Unter­schriften­bogen» anklicken) und ausdrucken.

Wichtig: Auf einem Bogen dürfen sich nur Stimmberechtigte ein­tragen, die in derselben politischen Gemeinde stimmberechtigt sind.

Senden Sie auch nicht ­voll ausgefüllte Listen ein!