Die Meldung aus den USA im Sommer schreckte auf: «Erstmals ‹Super›-Erreger in den USA festgestellt», schrieb die «Neue Zürcher Zeitung». «Gefährliche Antibiotika-Resistenz erreicht USA», titelte die «Süddeutsche Zeitung». Die Geschichte: Eine 49-jährige Frau aus Pennsylvania litt an einer Blasenentzündung. Medizinische Untersuchungen zeigten bald: Den Infekt löste ein Koli-Bakterium aus, das gegen fast alle Antibiotika resistent war.
Für solche Patienten gäbe es einen Ausweg: Colistin. Ärzte setzen dieses Antibiotikum erst dann ein, wenn alle anderen nicht mehr wirken. Doch bei dieser Patientin wirkte Colistin nicht. Das Bakterium war auch gegen dieses Mittel resistent. Es enthielt im Erbgut ein entsprechendes Resistenz-Gen. Die Fachwelt war konsterniert. Denn das bedeutet: Nun gibt es Blasen- und Lungenentzündungen, gegen die Ärzte machtlos sind.
Colistin in der Tiermast weit verbreitet
Das Fatale: In der Tiermast setzt man Colistin in grossen Mengen ein. In Deutschland verfütterten Tiermäster laut dem deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung im letzten Jahr rund 82 Tonnen Colistin an Schweine, Geflügel oder Rinder. 2013 waren es gar noch 124 Tonnen (siehe Grafik). Auch in der Schweiz ist es über eine halbe Tonne, wie das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen schreibt. Ein übermässiger Einsatz der Antibiotika führt dazu, dass sich die Erreger wehren und resistent werden.
Labortest: 32 von 100 Proben sind belastet
Ein Test des Gesundheitstipp zeigt nun: Colistinresistente Bakterien sind in Poulet- und Truthahnfleisch zu finden. Das Labor analysierte im Auftrag des Gesundheitstipp insgesamt 100 Geflügelproben, darunter Proben aus dem grenznahen Deutschland. Resultat: Jede dritte Geflügelprobe enthielt solche Keime (siehe Tabelle im PDF). Bei 32 von 100 Fleischproben liess sich das Colistin-Resistenz-Gen nachweisen. Beim Poulet war eine von fünf Proben belastet, beim Truthahn waren es sogar vier von fünf.
Die Keime fanden sich im Truthahnfleisch von Coop, Aldi Schweiz, Lidl Schweiz und der deutschen Lebensmittelkette Edeka. Beim Poulet in Fleisch von Migros, Lidl Schweiz, Aldi Schweiz sowie den deutschen Discounterketten Aldi Süd und Edeka.
Das betroffene Fleisch stammte ausschliesslich aus deutscher oder italienischer Geflügelmast. Das Colistin-Resistenz-Gen liess sich also in keiner Probe aus Schweizer Produktion nachweisen, auch nicht auf Bio-Geflügel. Roger Stephan, Direktor des Instituts für Lebensmittelsicherheit und -hygiene an der Universität Zürich, vermutet den Grund darin, dass man in Deutschland «mehr Colistin einsetzt».
In deutschen Mastställen haben die Tiere oft weniger Platz. Die EU erlaubt zum Beispiel in der Hühnermast 20 bis 22 Tiere pro Quadratmeter. In der Schweiz sind es gerade mal die Hälfte. Die Gefahr, dass sich Infektionen ausbreiten, ist bei engen Platzverhältnissen viel grösser. Zudem sind die Betriebe grösser. Das hat Folgen: Infektionen nehmen zu. Eine Studie der Behörden von Nordrhein-Westfalen ergab vor vier Jahren, dass 9 von 10 Hühnchen in der Mast Antibiotika erhielten.
Keime breiten sich über den Darm im Körper aus
Mit dem Geflügelfleisch gelangen überlebensfähige resistente Keime in den Darm. Das vor allem dann, wenn Fleisch nicht durchgegart ist oder wenn man die Keime nach dem Zubereiten an den Fingern hat und die Hände an den Mund führt. Andreas Widmer, Leiter der Spitalhygiene am Universitätsspital Basel, ist überzeugt: «Sind diese Keime einmal im Darm, wird man sie nicht so schnell wieder los.» Denn vom Darm aus können sie sich im Körper ausbreiten und unheilbare Entzündungen auslösen.
Auch bei Schweizern fanden Fachleute schon Colistin-resistente Keime: Forscher der Universität Bern wiesen sie kürzlich im Darm von vier Personen nach. Und Wissenschafter der Universität Fribourg entdeckten sie bei einem 88-jährigen Mann aus Genf und einem 59-jährigen Neuenburger. «Noch sind solche Fälle selten», sagt Andreas Widmer. Er befürchtet allerdings den Anfang einer Lawine, «die wir nicht mehr stoppen können».
Kein Wunder, werden nun Stimmen laut, die ein Ausstieg von Colistin in der Tiermast fordern. Für Hygienearzt Widmer ist klar: «Colistin sollte man in der Tiermast drastisch reduzieren.» Die Europäische Arzneimittelagentur fordert, dass europäische Tierärzte und Tiermäster den Einsatz von Colistin innert drei bis vier Jahren um 65 Prozent senken. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und
Weiter auf Seite 8
Veterinärwesen sieht zurzeit aber keinen Handlungsbedarf. Der Antibiotikaverbrauch sei bei den meisten Präparaten merklich zurückgegangen, sagt das Bundesamt. Für den Fall, dass Nutztiere an Durchfall erkranken, gebe es zudem keine gute Alternative zu Colistin.
Die Verkäufer des belasteten Geflügelfleischs schieben die Verantwortung an die Konsumenten ab. So schreibt Lidl, durch den korrekten Umgang in der Küche könne man vermeiden, dass man mit solchen Bakterien in Kontakt komme. Ähnlich tönt es bei Coop: Bei korrekter Zubereitung und Küchenhygiene bestehe kein Gesundheitsrisiko. Die Migros schreibt: Auf jeder Packung mit Geflügelfleisch werde auf die korrekte Küchenhygiene hingewiesen. Wenn man das Fleisch gründlich durchgare, töte man alle Bakterien ab. Und Aldi Schweiz sagt, die Produkte seien mit Küchenhygienevorschriften gekennzeichnet. Dort stehe, dass Konsumenten das Produkt nicht roh essen sollten.
Tipp: So behandeln Sie Poulet richtig
- Essen Sie nur wenig Pouletfleisch. Es gibt bessere und gesündere Alternativen: Fisch, Bio-Rindfleisch, Tofu oder Hülsenfrüchte.
- Kaufen Sie Poulet in Bio-Qualität. Das Risiko ist kleiner, dass es Antibiotika oder andere Medikamente enthält.
- Trennen Sie Pouletfleisch im Kühlschrank von den anderen Lebensmitteln.
- Beim Zubereiten: Nehmen Sie separate Messer und Brettchen. Waschen Sie anschliessend Geräte, Auflagefläche und Hände gut.
- Braten und garen Sie Geflügelfleisch immer gut durch.