Abgewetzte Jeans sollen dem Träger einen lässigen Chic verleihen. Die Hersteller sprechen von Vintage-Look oder Used-Optik. Die auf alt getrimmten Hosen verkaufen Schweizer Boutiquen für bis zu 250 Franken. Einen höheren Preis zahlen türkische Textilarbeiter, die viele der Jeans mit einem gefährlichen Sandstrahlverfahren bleichen. Nach Schätzungen türkischer Lungenärzte sind seit 2006 bis zu 5000 von ihnen an Silikose erkrankt, einer Lungenkrankheit, die oft zum Tod führt. Allein die Istanbuler Uniklinik registrierte über 700 Fälle.
Die meisten Erkrankten hatten in kleinen Zulieferfirmen Jeans mit Sandstrahlgeräten an Knien, Oberschenkeln und Hosenboden aufgehellt – ohne ausreichende Atemmasken und Schutzanzüge. Beim Strahlen gelangen Siliziumpartikel in die Luft, die sich in Quarz verwandeln und in der Lunge schwere Vernarbungen verursachen. Die Folgen sind Atemnot, Husten, Erbrechen und zuletzt der Tod durch Ersticken. Angesichts einer Protestwelle von Opfern, Ärzten und Gewerkschaften hat das türkische Gesundheitsministerium im April dieses Verfahren zur Jeansbleiche verboten. Der Minister räumt ein, dass bisher 40 Leute an Silikose gestorben und hunderte erkrankt sind.
«Das Sandstrahlen läuft trotzdem weiter», sagt Engin Sedat Kaya von der türkischen Textilgewerkschaft Teksif. Das Arbeitsministerium habe bisher nichts unternommen, um das Verbot durchzusetzen. Zudem arbeiteten die meisten Betroffenen ohnehin illegal und ohne Krankenversicherung in Kellern oder Hinterhöfen; das Sandstrahlverfahren erfordere keine grossen Investitionen. Ihre Patrons lieferten die Ware dann offiziellen Lieferanten grosser Markenhersteller.
Meldungen über erkrankte Textilarbeiter auch aus Bangladesch
Die Praxis des Sandstrahlbleichens weitet sich auf andere Länder aus. So räumt die schwedische Firma H&M im Nachhaltigkeitsbericht 2008 ein, dass beim Sandstrahlen von Jeans in Bangladesch «nicht alle Arbeiter die persönliche Schutzausrüstung benützen». Inzwischen gibt es Meldungen über dort an Silikose erkrankte Arbeiterinnen.
Eine saldo-Stichprobe zeigt, dass sich gebleichte Jeans «Made in Turkey» in fast allen Schweizer Kleiderläden und Warenhäusern finden. Können Käufer solcher Hosen jedoch sicher sein, dass bei deren Bleiche kein Arbeiter zu Schaden kam? saldo hat diese Frage 15 Herstellern gestellt, die solche gebleichten Jeans verkaufen.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur wenige Firmen lassen sich in die Karten schauen und machen klare Angaben zu ihren Lieferanten in der Türkei, ihrem Kontrollverfahren, den Namen externer Kontrolleure und der Häufigkeit von Kontrollen. Dazu zählen H&M, Tally Wejll, Zara und Mavi-Jeans.
Ob die Hersteller ihre Zulieferer ernsthaft kontrollieren, ist unklar
Das Gros der angefragten Hersteller verweigert konkrete Auskünfte über ihre Produktionsbedingungen, einige schweigen ganz. «Die Herstellung und Herkunft unserer Produkte sind geheim», erklärt etwa die Schweizer Zentrale von Ralph Lauren in Vernier. Keine Antwort gaben bis Redaktionsschluss Lee, Diesel, Wrangler sowie die türkischen Jeans-Hersteller Crosswear und Cipo&Baxx.
Eine dritte Gruppe von Herstellern macht nur vage Angaben. Dazu zählen drei Firmen, die laut einem türkischen Gewerkschafter viele betroffene Sandstrahler-Arbeiter als Endabnehmer von von ihnen gebleichten Jeans bezeichnen: Levi’s, Hilfiger und Esprit.
Levi’s liess laut eigenen Angaben bis vor einem halben Jahr Jeans in der Türkei per Sandstrahler bleichen. «Die Arbeiter schützten sich aber stets mit Ganzkörper-Schutzanzügen», sagt Firmensprecherin Judith Jahnke. Es habe jedoch Fälle gegeben, bei denen türkische Zulieferer gefälschte Levi’s-Jeans mit der gefährlichen Methode aufhellten. Die US-Firma Tommy Hilfiger betont, es gebe keine Beweise, dass ihre Produkte unter diesen heiklen Bedingungen hergestellt würden. Und Esprit erklärt, dass sie allen Bleichbetrieben den Einsatz des heiklen Siliziums untersage.
Alle drei Hersteller geben an, Lieferanten strenge interne Sicherheitsvorschriften aufzuerlegen und deren Einhaltung regelmässig zu kontrollieren. Sie nennen jedoch keinerlei Namen oder Details zur Häufigkeit der Kontrollen. Ähnlich verfährt Orsay. Das deutsche Unternehmen räumt ein, in seinen Schweizer Boutiquen gebleichte Jeans aus türkischer Produktion zu verkaufen. Die Firma beantwortet aber keine Fragen zu Lieferanten und ob sie diese kontrolliert.
Charles Vögele, C&A: Eigenmarken tragen nicht einmal Herkunftsetiketten
Ein besonderes Versteckspiel mit dem Kunden machen Charles Vögele und C&A. Beide Unternehmen haben gebleichte Jeans im Sortiment – die von Vögele stammen aus Asien, die bei C&A aus Bangladesch, der Türkei und Pakistan. Doch davon erfährt der Käufer nichts, da beide Konzerne bei ihren Eigenmarken auf Herkunftsangaben verzichten. Charles Vögele begründet dies damit, dass eine «Made-in»-Etikette rechtlich nicht vorgeschrieben sei. «Dem Konsumenten bringen die Angaben nichts», behauptet C&A-Sprecher Peter Gadient, zumal viele C&A-Produkte in bis zu acht Ländern angefertigt würden.
Für Christa Luginbühl von der Clean Clothes Campaign ist die Verschleierungstaktik von Herstellern nichts Unerwartetes: «Wer hier schweigt, hat sich offenbar nicht genügend mit der Thematik auseinandergesetzt.» Laut Studien hapere es bei vielen Firmen auch bei der Kontrolle der Zulieferer.