Früher war ein Bahnhof einfach ein Bahnhof. Mit Gleisen, Perrons, einem Kiosk und manchmal ­einem Bahnhofbuffet. Heute sind Bahnhöfe richtige Einkaufszentren. Mit Supermärkten, Kleidergeschäften, Apotheken und Restaurants. Und mit unzähligen Boxen voller Gratiszeitungen. Für die SBB als Vermieterin ist das ein Bombengeschäft.

Die Kehrseite der Me­daille: In den Zügen bleibt immer mehr liegen. Und die SBB haben das Problem nicht im Griff. Die Abfallkübel quellen über. Zei­tungen, Becher, Fläschchen und Verpackungen liegen herum. Tische, Polster und Böden sind schmutzig.

Das zeigt eine Stich­probe des K-Tipp von Anfang ­Dezember in über 40 Zügen an den Bahnhöfen Brig VS, Chur, Genf Flughafen, St. Gallen und Zürich. In diesen Bahnhöfen kommen Fernverkehrszüge an, die zum Teil mehr als vier Stunden unterwegs waren und anschliessend wieder an ­ihren Abfahrtsort zurückfahren. 

Eigentlich eine gute Gelegenheit für eine Reinigung. Und häufig steigen vor der Rückfahrt tatsächlich SBB-Angestellte in die Züge, um sich um Ordnung und Sauberkeit zu kümmern. Bloss wie! Ein paar Beispiele aus der K-Tipp-Stichprobe:

Brig

In Brig leeren zwei An­gestellte im IR, der vom Flughafen Genf kommt, ­Papierkörbe und füllen WC-Papier auf. Aber nur in einem einzigen Wagen. Obwohl der Zug 22 Minuten auf dem Perron steht. Doch nicht einmal dieser Wagen ist nachher sauber.

Beim Regionalzug aus St-Gingolph VS prüft ein Angestellter die Türen. Die Abfallkübel bleiben voll. Der Dreck bleibt liegen.

Auffallend in Brig: Von den Angestellten hat niemand Putzmaterial dabei.

Chur

Im Doppelstöcker aus Zürich wird nur unten gereinigt. Als ob es oben nicht nötig wäre.

Genf Flughafen

Am Hauptbahnhof steigt ein Angestellter in den IC aus St. Gallen, der am Flughafen wenden wird. Er reisst Reservationszettel ab und schaut in die WCs. Das ist alles.

Am Flughafen kümmern sich zwei Angestellte um den IR aus Brig. Einer sammelt Zeitungen ein, der ­andere leert Papierkörbe. Sie schaffen zwei Wagen – von neun.

Auf dem Perron schimpft ein Angestellter über den IC aus Zürich, der mit grosser Verspätung eintrifft. Denn deswegen müssten er und sein Kollege zwei Züge gleichzeitig reinigen.

St. Gallen

In St. Gallen gibt es Putzwägeli. Aber sie kommen während der K-Tipp-Stichprobe nicht zum Einsatz.

Immerhin staubsaugt ein ­Angestellter die untersten vier Treppenstufen eines Doppelstöckers, der vom Flughafen Genf kommt. Vier Stufen – mehr nicht.

Im IR aus Basel macht ein Angestellter einen kurzen Rundgang. Dann ruht er sich in einem Abteil aus. Die Abfallkübel sind überfüllt.

Zürich

Niemand kümmert sich um den ICN aus Genf-Flughafen. Wie auch? Die ­sieben Minuten, die laut Fahrplan zur Verfügung stehen, sind sowieso zu knapp.

Im EC aus Mailand ist ein WC nun schon seit sechs Tagen kaputt. 

Nicht einmal die S-Bahn-­Züge, die frühmorgens in Zürich zu ihrem ersten Einsatz einfahren, sind sauber.

Fazit: Tagsüber werden die Züge kaum gereinigt. Das liegt zum einen an den Angestellten, zum anderen an den SBB. Denn die Reinigungskräfte haben meistens zu wenig Zeit und sind erst noch schlecht aus­gerüstet.

«Die Zeit, die dem Reinigungspersonal für ­einen Wagen zur Verfügung steht, wurde in den ver­gangenen Jahren laufend gekürzt», sagt Jürg Hurni, Gewerkschaftssekretär beim Eisenbahnerverband. Hinzu kommt: Offenbar kümmert sich niemand darum, wie die Angestellten der Putzteams arbeiten. Dabei wissen die SBB-Verantwortlichen genau, dass Handlungsbedarf besteht. Im Geschäftsbericht 2016 steht: «Kunden­feedbacks zeigen, dass die SBB ­punkto Sauberkeit noch besser werden müssen.»

Mit grossem Aufwand lassen die SBB von Test­kunden die Sauberkeit von Zügen und Bahnhöfen beurteilen. Dem Vernehmen nach ist das Urteil der Kunden nicht sehr schmeichelhaft. Kein Wunder deshalb, dass die SBB den «vertraulichen» Bericht unter Verschluss halten.

Erstaunlich ist hingegen, dass die SBB trotz den ­Problemen mit Ordnung und Sauberkeit auf den Fahrplanwechsel 2016 beim Putzpersonal ins­gesamt 76 von 1066 Vollzeitstellen abgebaut haben. Die SBB ­begründeten dies mit ­einer «Produktivitätssteigerung durch eine bessere Res­sour­cen­­planung».

Kurzerhand die Abfallkübel entfernt

Mitunter haben die SBB ori­ginelle Ideen, wenn es darum geht, den Reinigungsaufwand zu redu­zieren. Im Dezember 2016 schraubten sie zum Beispiel in den S-Bahn-Zügen kurzerhand die Abfallkübel ab. Angeblich, um den Pas­sagieren «mehr Beinfreiheit» zu ­bieten. Das Ganze war ein Misserfolg. Denn die fehlenden Abfallkübel führten laut Eisenbahngewerkschafter Jürg Hurni dazu, «dass einige Kunden den Dreck einfach an ­ihrem Platz ­liegen lassen». Später lande er dann unter den ­Sitzen. 

Die SBB nahmen zur Stichprobe des K-Tipp nicht Stellung. Sie beantworteten auch allgemeine Fragen zur Wagenreinigung nicht.