Die Alternativen zu Vioxx
Eine Viertelmillion Schweizerinnen und Schweizer müssen einen Ersatz suchen für Vioxx. Die Schweizerische Medikamenten-Informationsstelle hat für den Pulstipp 11 Wirkstoffe unter die Lupe genommen.
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Gesundheitstipp 11/2004
10.11.2004
Gabriela Braun - gbraun@pulstipp.ch
Zwei Jahre lang nahm Jürg Schöni, 50, regelmässig das Medikament Vioxx. Im Juni vor einem Jahr erlitt er einen Herzinfarkt. Dieser kam völlig unerwartet, denn er galt nie als Risikopatient. Er rauchte nicht, hatte weder einen hohen Blutdruck noch Herz-Kreislauf-Beschwerden. Aber: Vor wenigen Wochen musste der Hersteller Merck Sharp & Dohme (MSD) das Medikament Vioxx vom Markt nehmen - wegen zu hoher Risiken für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Thrombosen. Dies hatte eine dreijährige Studie...
Zwei Jahre lang nahm Jürg Schöni, 50, regelmässig das Medikament Vioxx. Im Juni vor einem Jahr erlitt er einen Herzinfarkt. Dieser kam völlig unerwartet, denn er galt nie als Risikopatient. Er rauchte nicht, hatte weder einen hohen Blutdruck noch Herz-Kreislauf-Beschwerden. Aber: Vor wenigen Wochen musste der Hersteller Merck Sharp & Dohme (MSD) das Medikament Vioxx vom Markt nehmen - wegen zu hoher Risiken für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Thrombosen. Dies hatte eine dreijährige Studie mit 2600 Teilnehmern ergeben. Pikant: Bereits im Jahr 2000 hätten Forscher, Behörden und auch die Firma auf Grund zahlreicher Studien wissen können, dass Vioxx das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten erhöht. Dies hat ein Artikel in der Fachzeitschrift «Lancet» vor wenigen Tagen belegt.
Starke Schmerzmedikamente nimmt Jürg Schöni seit 20 Jahren. Arthrose an Knie, Hals- und Rückenwirbeln macht ihm das Leben schwer. Ohne die Morphiumpumpe im Körper und ohne das Medikament Celebrex würde er in der Nacht vor Schmerzen kein Auge mehr zutun.
In der Schweiz war Vioxx das am dritthäufigsten verkaufte Medikament. Ärzte verschrieben es gegen Entzündungen und Schmerzen bei Arthrose und Arthritis, gegen akute Schmerzen, Migräne und Menstruationsbeschwerden. Für Jürg Schöni und 250 000 weitere Menschen in der Schweiz geht es nun darum, eine Alternative zu finden.
Doch welche? Sollen sie zu den Medikamenten Celebrex oder Bextra wechseln, die wie Vioxx zur Gruppe der Cox-2-Hemmer gehören? Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik», mahnt zu Vorsicht: «Es ist unklar, ob diese Medikamente besser sind als Vioxx. Es gibt bisher keine Untersuchung, die das zeigen würde. Ich denke, dass alle Cox-2-Hemmer das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten erhöhen.» Vor allem Patienten mit erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko sollten deshalb auf Cox-2-Hemmer verzichten - zumindest, bis weitere Studien vorhanden seien.
Ältere Enzündungshemmer: Besser als ihr Ruf
Hinzu kommen weitere Nebenwirkungen, die Vioxx nicht hatte: Bextra kann schwere Hautreaktionen hervorrufen. «Das ist Besorgnis erregend», so Gysling. Und gemäss Peter Jüni, Forscher am Institut für Sozial- und Präventivmedizin in Bern, ist unklar, ob Celebrex tatsächlich schonender für den Magen ist als die altbekannten Entzündungshemmer. Jüni ist der Hauptautor der soeben veröffentlichten Studie in der Zeitschrift «Lancet». Seine Aussage ist erstaunlich: Vor fünf Jahren wurden die Cox-2-Hemmer nämlich vor allem darum hochgejubelt, weil sie besser verträglich für den Magen seien als die Medikamente Brufen, Aspirin oder Voltaren.
Doch gemäss Gysling sind die konventionellen Entzündungshemmer punkto Magen besser als ihr Ruf: «Das Risiko, mit diesen Medikamenten schwere Magenprobleme zu kriegen, ist im Vergleich mit Vioxx vielleicht ein Prozent höher.»
Die Schweizerische Medikamenten-Informationsstelle SMI hat für den Pulstipp die am meisten verbreiteten Rheumamittel und ihre Nebenwirkungen verglichen und bewertet (siehe Tabelle). Das Fazit von Markus Fritz, Leiter der SMI: «Je nach Ausmass der Beschwerden sind unterschiedliche Wirkstoffe sinnvoll. Welches Medikament angebracht ist, sollten Patienten mit ihrem Arzt besprechen.»
Von vielen Mitteln kennt man Vor- und Nachteile gut
Auch Jüni und Gysling schlagen vor, Alternativen zu den Cox-2-Hemmern zu suchen. Ihr Tipp: Bei einem Medikamentenwechsel als Erstes abklären, ob ein Entzündungshemmer wirklich notwendig ist. Denn es gibt Rücken- und Arthroseschmerzen, die man bestens mit Paracetamol behandeln kann. Dieser Wirkstoff ist gut verträglich.
Plagen den Betroffenen noch immer starke Schmerzen, oder leidet er unter einer starken Entzündung, hilft ein konventioneller Entzündungshemmer weiter - wie etwa Brufen, Voltaren oder Apranax. «Von all diesen Medikamenten kennt man die Vor- und Nachteile sehr gut. Sie sind seit über 20 Jahren auf dem Markt», so Etzel Gysling.
Worauf man bei der Wahl des Medikaments achten muss
Falls diese Medikamente Magenprobleme verursachen, benötigt der Patient zusätzlich ein Medikament, das den Magen schont.
Auch Adrian Forster von der Rheumaklinik am Universitätsspital Zürich hält eine Kombination eines konventionellen Entzündungshemmers mit einem magenschonenden Medikament für das Beste: «Die Therapie ist etabliert. Man ist damit auf der sicheren Seite.»
Folgende Punkte gilt es aber zu beachten:
- Aspirin und Cox-2-Hemmer sollte man nicht kombinieren. Das ist schlecht für den Magen, und es ist nicht sicher, ob das Herz darunter leidet.
- Eine Kombination von Aspirin mit dem Wirkstoff Ibuprofen kann die Wirkung des Aspirins hemmen. «Darauf deuten wissenschaftliche Studien hin», so Peter Jüni.
- Auf keinen Fall soll man ein Medikament überdosieren. Es können daraus unter anderem Magenprobleme entstehen. Braucht ein Betroffener mehr als die Tageshöchstdosis, muss er eine andere Lösung finden. «Manchmal hilft ein Medikament aus einer ganz anderen Schmerzmittelklasse», so Etzel Gysling.
- Bei allen Schmerzmitteln ist Vorsicht geboten. Man weiss man nie genau, wie die Niere reagiert - seien es nun Cox-2-Hemmer oder konventionelle Entzündungshemmer, etwa Naproxen oder Voltaren.
Menschen reagieren auf Wirkstoffe unterschiedlich. Jeder muss die richtige persönliche Medikamentenkombination finden. Deshalb ist es wichtig, dass Patienten einen Medikamentenwechsel immer vorher mit ihrem Arzt besprechen.
Jürg Schöni hat sich inzwischen bei der Schweizerischen Patientenorganisation SPO gemeldet. Diese will mit Experten prüfen, ob sein Infarkt tatsächlich mit dem Medikament Vioxx in Verbindung gebracht werden kann.