Der Hausarzt hatte Margaretha Kummer nicht viel Neues zu berichten. Die Kontrolle habe ergeben, sie sei gesund. Nur der Cholesterinwert sei erhöht. Die 72-Jährige aus Hinterkappelen BE berichtet: «Der Arzt wollte mir gleich etwas dagegen verschreiben.» Ein Medikament gegen das Cholesterin solle ihr Risiko für Herzinfarkt und Hirnschlag senken.
Doch Margaretha Kummer wollte «keine Chemie». Stattdessen ass sie weniger Butter, fettes Fleisch, Käse und Süssigkeiten. «Mein Cholesterinwert ist heute wieder in Ordnung.» Auch Manuela Karrer aus Altnau TG hatte einen erhöhten Cholesterinspiegel. Statt Medikamente nahm sie erst einmal Artischocken-Dragées. «Nach einigen Wochen war das Cholesterin wieder fast normal.»
«Ärzte verschreiben Statine zu schnell und zu häufig»
Ähnlich ergeht es vielen älteren Menschen: der Arzt stellt erhöhtes Cholesterin im Blut fest und verschreibt Medikamente, meist sogenannte Statine. Dazu gehören die Medikamente Sortis, Lescol, Zocor, Mevalotin oder auch Selipran. Doch das ist nicht immer nötig, sagen jetzt Fachleute.
Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser: «Ärzte verschreiben viel zu schnell und zu häufig Medikamente gegen das hohe Cholesterin.» Statine senken das schlechte Cholesterin zwar um 30 bis 60 Prozent – doch oftmals ohne Nutzen für Patienten. Walser: «Ist der Patient sonst gesund, senken die Medikamente sein Risiko für Herzinfarkt oder Hirnschlag nur sehr gering.»
Medikamente nur bei stark erhöhtem Infarkt-Risiko
Bislang ist der Nutzen der Cholesterinsenker nur bei Patienten belegt, die aufgrund von verkalkten Gefässen bereits einen Herzinfarkt oder Hirnschlag hatten. In diesen Fällen schützen Statine die Patienten vor einem erneuten Ereignis. Bei einem geringen Risiko auf Herzinfarkt oder Hirnschlag ist der Nutzen der Statine zum Vorbeugen allerdings klein.
Wolfgang Becker-Brüser, deutscher Arzt und Apotheker und Herausgeber des deutschen Fachblattes «Arznei-Telegramm», sagt: Der Einsatz der Statine sollte sich nicht allein nach dem Blutwert des Cholesterins richten, sondern auch nach den anderen Risiken für Herz-Kreislauf-Krankheiten. Allerdings: «Bei einem insgesamt hohen Risiko ist die Therapie mit Statinen vertretbar.»
Andere Risikofaktoren für Herzinfarkt und Hirnschlag sind das Alter, männliches Geschlecht, hoher Blutdruck, Diabetes, bekannte Herz- und Gefässprobleme in der Familie sowie Rauchen. Stoffwechselexperte Ulrich Keller vom Universitätsspital Basel rät: «Bei erheblich erhöhtem Risiko sollten Patienten Statine auch zum Vorbeugen nehmen.»
Doch nicht wegen des geringen Nutzens sind Cholesterinsenker umstritten, sondern auch wegen der Nebenwirkungen. So zeigte kürzlich eine englische Analyse von zwei Millionen Patienten: Statine erhöhen das Risiko für ernsthafte bis lebensbedrohliche Störungen der Leber und der Niere, für Muskelprobleme und für grauen Star.
Andere neuere Studien zeigen zudem Hinweise auf Schlaf- und Erektionsstörungen. Bei einigen Cholesterinsenkern traten auch Depressionen und Gedächtnisstörungen sowie ein erhöhtes Diabetesrisiko auf.
Statine vertragen sich oft schlecht mit anderen Pillen
Die britische Arzneimittelbehörde hat daher die Liste der Nebenwirkungen auf den Beipackzetteln der Statine massiv erweitert. Im Arzneimittelkompendium der Schweiz, so kritisiert das Schweizer Fachblatt «Pharma-Kritik», sind diese neuen Nebenwirkungen gar nicht erwähnt oder als sehr selten bezeichnet.
Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber der «Pharma-Kritik», warnt vor allem vor Muskelproblemen. Studien vermuten, so das Blatt, dass wohl jeder Patient wegen der Statine unangenehme Muskelschmerzen hat. Das Risiko steigt, wenn Patienten noch andere Medikamente einnehmen müssen, zum Beispiel Medikamente zur Blutgerinnung, Anti-pilzmittel, Antibiotika, HIV-Medikamente, andere Cholesterinsenker und Medikamente zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen.
Solche Wechselwirkungen sind zwar gut dokumentiert, Ärzte haben sie aber oft zu wenig beachtet, so die «Pharma-Kritik». Das ist besonders für ältere Personen von Bedeutung, die oft Medikamente für mehrere Krankheiten nehmen müssen.
Gysling: «Auch ich werde bei meinen Patienten künftig besser aufpassen.» Oft genügt es schon, die Dosis der Statine zu senken. So zeigte eine amerikanische Studie mit Zocor an 12‘000 Patienten: Bei einer Tagesdosis von 80 mg erhöht das Statin das Risiko für Muskelschwäche 50-mal mehr als bei einer Dosis von nur 20 mg. Auch gibt es für jedes Statin eine Alternative.
Sortis-Herstellerin Pfizer schreibt dem Gesundheitstipp, man wende ihr Medikament an, um Herz-Kreislauf-Krankheiten vorzubeugen. Auch Zocor würde das Risiko fürs Herz vermindern, schreibt Hersteller Merck Sharp & Dohme. Und Novartis schreibt, Lescol käme nur zum Einsatz, wenn Patienten auf eine Diät nicht genügend ansprechen würden. «Schwerwiegende Ereignisse» seien kaum je aufgetreten.
In der Tat: Erhöhtes Cholesterin im Blut lässt sich oft auch ohne Medikamente wieder ins Lot bringen (siehe unten). Vor allem Übergewicht, viel Fleisch, rauchen und wenig Bewegung führen zu mehr schlechtem Cholesterin im Blut. Die Folge: entzündete und verengte Arterien. Das kann zu Herzinfarkt oder Hirnschlag führen.
Walter Riesen von der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie rät deshalb: «Patienten sollten nicht zu viele ungesättigte Fette zu sich nehmen, dafür viel Omega-3-Fettsäuren.» Und: «Sie sollten sich vermehrt bewegen.»
Tipps: Cholesterin senken ohne Pillen
- Hören Sie auf zu rauchen.
- Bewegen Sie sich regelmässig, am besten täglich 30 Minuten. Gut sind Jogging, zügig Gehen, Velofahren, Schwimmen.
- Bewegen Sie sich vor dem Essen. Das verringert das Bauchfett.
- Versuchen Sie abzunehmen.
- Verzichten Sie auf Zwischenmahlzeiten.
- Sparen Sie mit tierischen Fetten im Essen.
- Verwenden Sie viel pflanzliche Fette mit einem hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Dazu zählen Olivenöl, Rapsöl, Leinöl.
- Vermeiden Sie Sonnenblumenöl, Maiskeim- und Distelöl.
- Essen Sie ausreichend Fisch.
- Besonders gut sind Baumnüsse, Mandeln und Walnüsse.
- Essen Sie ballaststoffreiche Nahrungsmittel: Äpfel, Vollkornprodukte, Haferflocken.
- Essen Sie regelmässig Sojaprodukte.
- Artischocken-Extrakt kann das Cholesterin senken.