Haben die Behörden bei der Bekämpfung des Coronavirus überreagiert? Ist es am Ende gar nicht viel schlimmer als eine ­normale Grippe? Das ist schwer zu beurteilen. Denn in der Schweiz fehlen seriöse Zahlen – sowohl zu Corona als auch zur Grippe.

Grippe: Das Bundesamt für Statistik weist für die letzten zehn Jahre nur wenige grippebedingte Todesfälle aus – zwischen 3 (im Jahr 2010) und 284 (im Jahr 2017). Die Zahlen sind selbstverständlich viel zu niedrig. Das wissen auch die Statistiker. Sie schrieben schon 2013: «Grippe betrifft häufig Menschen, die von anderen Grundkrankheiten geschwächt sind, und erscheint deshalb meist nicht selbst als Haupttodesursache.» Denn in der Todesursachenstatistik wird jeweils nur eine Diagnose aufgeführt. Nach den Regeln der Weltgesundheitsorganisation ist dies die Grundkrankheit und nicht die Krankheit, die zum Tod führte.

Corona: Ebenso wenig verlässlich ist die Zahl von bislang 1059 Covid-19-Toten (Stand 17. April). Denn das Bundesamt für Gesundheit «weist Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 aus, wenn für die verstorbene Person ein positiver Labortest vorliegt». Das heisst: In der Covid-19-Statistik zählt nicht die Grundkrankheit, sondern immer die Covid-19-Dia­gnose. 

Todesursache Corona ist irreführend 

Konkret: Wenn ein Krebskranker an der ­Grippe stirbt, dann gilt der Krebs als Todesursache. Wenn ein Krebskranker hingegen an Corona stirbt, dann gilt Corona als Todesursache.

Mit anderen Worten: Die Zahl der Grippetoten, die das Bundesamt für Statistik veröffentlicht, ist nicht vergleichbar mit der Zahl der Covid-19-Toten, die das Bundesamt für Gesundheit publiziert.

Hilfreicher für Vergleiche ist deshalb ein Blick auf die Anzahl Todesfälle. Das Bundesamt für Statistik berechnet, gestützt auf die in den letzten Jahren Gestorbenen, für jede einzelne ­Woche, wie viele Todesfälle zu erwarten sind. Gegen­wärtig sind das bei den über 65-Jährigen 1010 bis 1181 pro Woche. Überschreitet die Zahl der Todesfälle ­diese ­Bandbreite, sprechen die Statistiker von einer Übersterblichkeit. Häufig gibt es Übersterblichkeiten in den Monaten Januar bis März wegen Grippewellen, seltener in den Monaten Juni bis August wegen Hitze­wellen.

Der K-Tipp hat jede einzelne Woche der letzten zehn Jahre auf Übersterblichkeiten bei über 65-Jährigen untersucht. Das Resultat:

In jedem Jahr – ausser 2014 – gab es einige Wochen mit Übersterblichkeit.

Am höchsten war die Übersterblichkeit in der Woche sieben des Jahres 2015. Damals starben innert einer Woche 269 ­ältere Menschen mehr als statistisch erwartet. 

Dieses Jahr war die Übersterblichkeit bisher in der Woche 14 am höchsten. Es starben 412 ältere Menschen mehr als erwartet. Die neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik reichen bis zum 5. April.

2015 gab es die längste Phase mit Übersterblichkeit. Sie dauerte elf Wochen. Dieses Jahr gab es bis zum 5. April erst drei Wochen mit Übersterblichkeit.

2015 starben in den ersten 14 Wochen des Jahres 21 430 Personen, dieses Jahr 19 785 – also 1645 weniger. 

Auch in den Jahren 2017 und 2018 war die Zahl der Toten in der Schweiz höher als dieses Jahr.

Dieses Jahr starben in den ersten 14 Wochen weniger unter 65-Jährige als in den letzten fünf Jahren. Bei den über 65-Jährigen war die Zahl ebenfalls verhältnismässig tief (siehe Tabelle im PDF).