Mina Troxler aus Affeltrangen TG (Name geändert) brauchte zum ersten Mal in ihrem Leben einen Schlüsseldienst. Eine Zimmertüre liess sich nicht mehr öffnen. Sie suchte deshalb im Internet nach einer Adresse: «Zuoberst erschien der ‹Schlüsseldienst Weinfelden›», erinnert sie sich. Dieser wirbt auf der Website Not24.ch, er sei «schnell und zuverlässig – ab Fr. 15.– für Schlösser».
Troxler wählte die Nummer und bestellte einen Service-Monteur. Etwa eine Stunde später war er bei ihr. Sie musste zuerst ein Formular ausfüllen. Darauf war eine Betriebskostenpauschale von 150 Franken aufgeführt. «Der Monteur sagte, das sei der Endbetrag», so Troxler. Sie unterschrieb und gab das Formular zurück. Daraufhin habe der Arbeiter mit einem verbogenen Draht die Türe innert Sekunden geöffnet.
550 Franken bar und sofort zu bezahlen
Dann füllte er auf der Rechnung weitere Posten aus: eine Einsatzpauschale von 240 Franken und den Samstagszuschlag von 120 Franken – total 550 Franken inkl. MwSt., zu bezahlen sofort in bar. Troxler weigerte sich zuerst, diesen Betrag zu begleichen. «Daraufhin sagte er, er bleibe so lange, bis ich bezahlt hätte.» Schliesslich bezahlte sie: «Ich war alleine zu Hause und wollte einfach, dass der Mann endlich geht.»
Briefkasten öffnen für 680 Franken
Troxler ist kein Einzelfall: In der Arztpraxis von Jörg Werren aus Burgdorf BE (Name geändert) schloss sich ein Patient in der Toilette ein. Werren landete ebenfalls auf der Internetseite Not24.ch – und engagierte den «Schlüsseldienst Burgdorf». Die Türöffnung dauerte gemäss Werren etwa zehn Minuten. Preis: rund 420 Franken.
Über 680 Franken musste Barbara Frey aus Wädenswil ZH für den Ausbau und den Ersatz ihres defekten Briefkastenschlosses hinblättern. Auch sie hatte Not24.ch angerufen.
Bezahlte Anzeige zuoberst im Internet
Dass so viele Leute auf Not24.ch landen, hat zwei Gründe: Erstens erscheint die Adresse zuoberst in der Google-Suche – als gekaufte Anzeige. Zweitens passt die Website den Namen des Schlüsseldienstes der gesuchten Ortschaft an. Die Suchenden denken so, einen lokalen Schlüsseldienst gefunden zu haben.
Es handelt sich aber um das Callcenter eines undurchsichtigen Firmengeflechts, das von Deutschland aus operiert (siehe Kasten «Dubiose Firmen»). Not24.ch beantwortete die Fragen des K-Tipp nicht.
Dubiose Firmen mit Telefonzentralen in Deutschland
Unter der 0800er-Nummer von Not24.ch taucht im Telefonbuch das Unternehmen AAMS Dienstleistungen für die Schweiz GmbH mit Sitz in Bürglen UR auf. Geschäftsführer Michael Seibel ist kein Unbekannter: Letztes Jahr berichtete «Saldo» über seinen überteuerten Schlüsseldienst – damals hatte seine Firma den Sitz noch in Alpnach OW (Saldo 8/2015).
Die Sendung «Kassensturz» berichtete im März 2015 ebenfalls über seine Machenschaften. Michael Seibel schrieb damals, seine Firma müsse das richtige Preisniveau noch finden. Man sei sich aber bewusst, dass einige der Geschäftspraktiken falsch waren.
Daniel Manske fungiert ebenfalls als Geschäftsführer der AAMS. Zusammen mit zwei weiteren Deutschen leitet er auch die 24h Facility Services GmbH in Zürich.
Vier weitere Deutsche sitzen in der Geschäftsleitung der 00:00–24:00 Handwerkerservice GmbH – beide Firmen erhalten ihre Aufträge über Not24.ch.
Seibel und Manske führen auch das Herisauer Unternehmen 00–24 Asters Dienstleistungen AG. Dieses ist Inhaber der Telefonnummer 0800 08 00 02, die auf der Website Sani24.ch zu finden ist. Mitte November 2016 warnte die Schaffhauser Polizei vor diesem Notfall-Sanitär. Eine Frau hatte sich bei der Polizei gemeldet, weil zwei Monteure allein für die Begutachtung der defekten Spülmaschine 500 Franken verlangt hatten.
Abklärungen durch die Schaffhauser Polizei ergaben, dass es sich bei Sani24.ch «um eine Telefonzentrale mit Sitz in Deutschland handeln dürfte, die Handwerker zu Wucherpreisen vermittelt».
Schlüssel-Notfall: So schützen Sie sich vor hohen Rechnungen
Haben Sie den Schlüssel zu Ihrer Wohnung verloren, rufen Sie zuerst die Hausverwaltung oder den Abwart an.
Am besten deponieren Sie einen Ersatzschlüssel bei einem vertrauenswürdigen Nachbarn. So haben Sie gut vorgesorgt.
Speichern Sie für alle Fälle die Nummer eines seriösen Schlüsseldienstes auf dem Handy. Achtung: Die erste Adresse im Telefonbuch oder im Internet ist oft nicht die beste. Viele Schlüsseldienste erkaufen sich den Platz.
Vorsicht bei Callcenternummern, die zum Beispiel mit 0800 und 0900 beginnen. Lokale Handwerker verwenden in der Regel nicht solche Nummern. Nehmen Sie ein Geschäft in Ihrer Nähe.
Fragen Sie schon am Telefon nach den Kosten für die Türöffnung inklusive Anfahrt und allfällige Zuschläge. Erhalten Sie keine klare Auskunft, wenden Sie sich an ein anderes Unternehmen.
Achten Sie darauf, dass der Monteur Tür und Schloss nicht mit Gewalt aufbricht. Das verursacht zusätzliche Kosten.
Ein seriöser Schlüsseldienst sucht auch einen kostengünstigeren Weg in die Wohnung (zweite Türe, Kippfenster etc.).