Alkoholsucht - Einsicht ist der erste Schritt zum Ausstieg
Statt Hilfe zu suchen, verdrängen viele Alkoholabhängige ihre Sucht. Aus dem Trinken auszusteigen, ist schwierig, aber möglich. Der Aufenthalt in einer Klinik ist oft der erste Schritt zur Besserung.
Rund 300 000 Alkoholabhängige leben in der Schweiz, doppelt so viele sind gefährdet. Oft bemerkt niemand ihr Suchtproblem, wie bei Henrik Hipp, 31. Weder die Kollegen noch sein Arbeitgeber ahnten, dass er Alkoholiker war. Er trank nur zu Hause, abends, Wein und Bier. «In der Öf...
Statt Hilfe zu suchen, verdrängen viele Alkoholabhängige ihre Sucht. Aus dem Trinken auszusteigen, ist schwierig, aber möglich. Der Aufenthalt in einer Klinik ist oft der erste Schritt zur Besserung.
Rund 300 000 Alkoholabhängige leben in der Schweiz, doppelt so viele sind gefährdet. Oft bemerkt niemand ihr Suchtproblem, wie bei Henrik Hipp, 31. Weder die Kollegen noch sein Arbeitgeber ahnten, dass er Alkoholiker war. Er trank nur zu Hause, abends, Wein und Bier. «In der Öffentlichkeit habe ich mich nie betrunken, im Geschäft rührte ich keinen Alkohol an.» Ein normales Leben führte er trotzdem nicht. Rückblickend erkennt Henrik Hipp, dass er sich, wie viele Alkoholiker, zunehmend von seiner Umwelt isolierte. Gleichzeitig flüchtete er sich in die Überzeugung, ein Geniesser zu sein, indem er nur guten Wein trank.
Therapie: Neue Verhaltensweisen erarbeiten
Für Alkoholismus könnte eine genetische Veranlagung eine Rolle spielen, wichtig sind aber auch auslösende Faktoren. Henrik Hipp weiss nicht, wie er seine Sucht hätte verhindern können. «Es begann, als ich zwanzig Jahre alt war, im Kreis meiner jugendlichen Kollegen. Ich habe sofort ausserordentlich stark auf Alkohol angesprochen.» Jahrelang lebte Henrik Hipp mit seiner Sucht. Erst als er mit starken Herzrhythmusstörungen ins Spital kam, sprach er zum ersten Mal von seinem Problem. «Das war erschreckend, aber gleichzeitig der Anfang zur Besserung.»
Die Mitarbeiterin einer Suchtberatungsstelle ermutigte ihn zu einer stationären Therapie im Spital Wattwil. Das Hauptziel der dreieinhalbwöchigen Kurzzeittherapie: neue Verhaltensweisen erarbeiten, die das Trinken ersetzen. «Mit der stationären Behandlung ist es aber längst nicht getan», unterstreicht Psychologin Katharina Hildebrand. «Entscheidend ist, dass man sich anschliessend ein tragfähiges, ambulantes Netz aufbaut.» Denn die Zeit nach der Klinik ist sehr hart, das erfuhr auch Henrik Hipp: «Auf einmal kommen all die verdrängten Probleme hoch, und man sieht plötzlich, was man durch den Alkohol alles verpasst hat.»
Henrik Hipps Klinikaufenthalt liegt ein halbes Jahr zurück. Seither lebt er abstinent. Er macht eine Psychotherapie, besucht eine Gesprächsgruppe und nimmt regelmässig abstinenzunterstützende Medikamente ein.
Wichtig: Riskante Situationen kennen und vermeiden
Den Anschluss an seinen Freundeskreis hat er wieder gefunden und geniesst die gemeinsamen Treffen. «Es macht mir nichts aus, als Einziger Mineralwasser zu trinken. Was mich allerdings ärgert: Wenn ich aus einem anderen Glas trinken soll als die übrigen Gäste ihren Wein. Da fühl ich mich irgendwie ausgeschlossen.»
Henrik Hipp hat gute Chancen für einen dauerhaften Erfolg, auch wenn er manchmal Angst hat vor Rückfällen. Wichtig ist, riskante Situationen zu kennen. «In den Ferien zum Beispiel», so Katharina Hildebrand, «ist die Gefahr für einen Rückfall besonders gross. Man hat viel Zeit, ist oft in Gesellschaft, überall fliesst Alkohol.»
Ein Jahr nach der Therapie sind durchschnittlich 40 Prozent der am Spital Wattwil Behandelten immer noch abstinent. Rund 30 Prozent haben trotz fehlender Abstinenz von der Therapie profitiert. Breitere Erhebungen über den langfristigen Erfolg von Entzugstherapien sind rar. Eine Studie der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) von 1995 ergab: Sieben Jahre nach einer stationären Therapie waren 12 Prozent der Behandelten noch absolut abstinent. 24 Prozent konsumierten ab und zu Alkohol, hatten aber keine Trinkexzesse und lebten in stabilen Verhältnissen. Mehr als die Hälfte glitt gelegentlich oder häufig ins alte Suchtmuster ab.
Henrik Hipp ist trotz aller Schwierigkeiten froh, dass er es gewagt hat, sich seiner Abhängigkeit zu stellen. Sein Tipp an alle, die betroffen sind wie er: Nicht ewig zuwarten, bis man Hilfe sucht. «Ich habe mein Leben sechs Jahre lang der Sucht angepasst. Das waren sechs Jahre zu viel.»
Martina Lichtsteiner
Anlaufstellen - Links und Adressen
Erste Anlaufstelle bei Alkoholproblemen ist in der Regel der Hausarzt; weiterführende Beratung bieten die kantonalen oder städtischen Fachstellen für Alkoholprobleme/Suchtberatung.
- www.sfa-ispa.ch Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme, Av. Ruchonnet 14, 1001 Lausanne, Tel. 021 321 29 11
- www.alkoholtherapie.ch Spital Wattwil, Psychosomatische Abteilung, Tel. 071 987 32 50
- www.netdoktor.de/ratschlaege/fakten/Alkohol.htm
- www.anonyme-alkoholi ker.ch Anonyme Alkoholiker, Sekretariat Deutschschweizer Gruppen, Cramerstrasse 7, 8004 Zürich, Tel. 0848 848 846
- www.blaueskreuz.ch Blaues Kreuz, Geschäftsstelle der deutschen Schweiz, Lindenrain 3, 3001 Bern, Telefon 031300 58 63
- Guttempler, Schweizer Landesverband, Schaffhauserstrasse 432, 8050 Zürich, Tel. 01 300 30 45.
- Al-Anon, Selbsthilfeorganisation der Angehörigen und Freunde der Anonymen Alkoholiker, 4601 Olten, Tel. 062 296 52 16
Selbsttest - Sind Sie alkoholabhängig?
Ab sechs angekreuzten Fragen ist eine Alkoholsucht wahrscheinlich:
- Vermeiden Sie Gespräche über Alkohol?
- Trinken Sie die ersten Gläser hastig?
- Denken Sie häufig an Alkohol?
- Haben Sie nach starkem Trinken Gedächtnislücken?
- Trinken Sie heimlich?
- Haben Sie wegen des Trinkens Schuldgefühle?
- Können Sie nach dem Anfangen nicht mehr mit Trinken aufhören?
- Erfinden Sie Ausreden, um zu trinken?
- Fühlen Sie sich mit Alkohol leistungsfähiger?
- Versuchen Sie, phasenweise abstinent zu leben?
- Hat sich Ihr privates Umfeld verändert?
- Versuchen Sie, nach bestimmten Regeln zu trinken (z. B. nur abends)?
- Legen Sie sich Alkoholvorräte an?
- Ernähren Sie sich schlecht?
- Trinken Sie bereits morgens?
- Ist Ihr Sexualleben verarmt?
- Trinken Sie manchmal tagelang hintereinander?
- Vertragen Sie zurzeit weniger Alkohol als früher?
- Zittern Sie morgens?
- Wurden Sie schon auf das Trinken angesprochen?
- Haben Sie Durchschlafstörungen?
- Waren Sie schon in Spitalpflege wegen des Trinkens?
- Pflegen Sie bestimmte Kontakte nur, um zu trinken?
- Schwitzen Sie oft und sind nervös?
- Haben Sie finanzielle Probleme wegen Ihres Alkoholkonsums?