Bundesrat Alain Berset setzte die unter 45-Jährigen im Hinblick auf die Abstimmung über die Rentenreform unter Druck: «Wenn ihr Nein stimmt, könnt ihr nicht sicher sein, dass ihr noch eine AHV- Rente bekommt», warnte er im «Tages-Anzeiger» vom 7. August. Tags darauf behauptete SP-Nationalrat Beat Jans in der Zeitung «Bote der Urschweiz», Bersets Aussagen würden auf «unbestrittenen Berechnungen» basieren: «Man weiss, dass der AHV-Fonds in wenigen Jahren leer ist, wenn die Reform der Altersvorsorge scheitert.»

Immer wieder prophezeien Befürworter der Rentenreform den baldigen Zusammenbruch der AHV, wenn am 24. September das Nein-Lager siegen sollte. Doch diesen Vorhersagen liegen nicht die bisherigen Entwicklungen der AHV- Finanzen zugrunde, sondern Prognosen für die Zukunft, die keineswegs sicher sind. Niemand weiss ­heute, wie sich Wirtschaft, Löhne, ­Anlagerenditen und Zuwanderung entwickeln. Zahlen zur Zukunft der AHV-Finanzen sind weitgehend Spekulation.

Keine Spekulation sind die Zahlen des Bundesamts für Sozialversicherungen aus der AHV-Statistik ­(siehe Tabelle). Sie zeigen: Die AHV steht auf solidem Fundament. In den letzten zehn Jahren ist ihr Vermögen um über 4 Milliarden auf 44,7 Milliarden Franken gewachsen – trotz der Bankenkrise im Jahr 2008, die der AHV einen Anlageverlust von 4,3 Milliarden Franken bescherte. 

Einen grösseren Rückgang ihrer Kapitalreserven verzeichnete die AHV-Rechnung danach nur noch 2011: Damals beschloss das Parlament, 5 Milliarden aus dem AHV-Vermögen an das IV-Kapitalkonto zu überweisen. Sonst wären die AHV-Reserven heute noch grösser.

Nur in zwei Jahren nicht im Plus

In den letzten Jahrzehnten stieg die AHV-Reserve ständig, weil die Einnahmen höher waren als die Ausgaben. Das war nur in zwei Jahren anders: Beim Wertschriftenverlust im Krisenjahr 2008 und im Jahr 2015, als der Anlageertrag lediglich 20 Millionen Franken betrug. Die AHV-Rechnung schloss in diesen zwei Jahren mit ­einem Verlust von insgesamt 2,84 Milliarden Franken ab. 

Dem steht allerdings ein Plus von 13,37 Milliarden Franken aus den übrigen acht Jahren gegenüber. Von 2007 bis 2016 erzielte die AHV also im Durchschnitt rund 1 Milliarde Franken Gewinn pro Jahr.

Die heutige hohe ­Reserve der AHV entstand durch die Generation der Babyboomer. Die Einnahmen lagen deshalb bis ins Jahr 2013 über den Ausgaben. Seit 2014 ist das Rechnungsergebnis aus Prämien­einnahmen und Rentenausgaben leicht negativ, ­konnte aber insgesamt durch die Kapitalerträge mehr als aufgefangen werden. Deshalb stieg die Reserve immer noch.

Die Generation der Babyboomer wird in den nächsten Jahren pensioniert. Das AHV-Vermögen wird deshalb langsam abnehmen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen schätzt, dass die AHV-­Reserve im Jahr 2025 nur noch 33,8 Milliarden Franken betragen wird. Ob das der Fall sein wird, steht ­heute in den Sternen. Klar ist: Von einem Zusammenbruch der AHV kann ­keine Rede sein. 

Spätestens ab 2030 kommt übrigens die ­nächste Babyboomer-Generation ins erwerbsfähige Alter («Saldo» 4/2017), was die Prämieneinnahmen der AHV erhöhen wird. 

AHV steht auch im Vergleich gut da

Wie gut das Kapitalpolster der AHV ist, zeigt ein Vergleich mit anderen Sozialversicherungen (siehe Kasten rechts). Auffallend: Im Gegensatz zur AHV warnt bei diesen Sozialwerken niemand vor einem drohenden Kollaps. Denn allen ist klar: Man könnte jederzeit die Prämien erhöhen, wenn die Versicherungen in ernsthafte Finanzschwierigkeiten gerieten.

Mit Schreckensszenarien lassen sich unbeliebte Neuerungen wie das höhere AHV-Rentenalter für Frauen leichter als notwendiges Übel verkaufen. Und wer behauptet, bei einem Nein am 24. September drohe Rentenalter 67, übersieht: Eine Änderung des Rentenalters käme wieder vors Volk. Es hat das letzte Wort.

Vergleich mit anderen Sozialversicherungen

IV: Die Invalidenversicherung hat seit 1974 fast ununterbrochen Schulden. Letztes Jahr betrugen sie 11,4 Milliarden Franken.

ALV: Die Darlehensschulden der Arbeitslosen­versicherung lagen Ende 2016 bei 2,5 Milliarden.

EO: Die Erwerbsersatzordnung deckt einen Teil des Lohnausfalls von Militärdienstleistenden und zahlt Mutterschaftsentschädigungen. Sie ­ver­- f­ügte 2016 über Reserven von rund 1 Milliarde Franken. Das entspricht aber nur knapp 59 Prozent ­einer EO-Jahresausgabe. Die Reserven hätten also für etwa sieben Monate gereicht – und damit deutlich weniger lang als die Reserven der AHV.