SMS-Betrügereien: Telefonfirmen kassieren locker mit
Telefonkunden verlieren viel Geld mit teuren Hotlines oder SMS-Abos. Die Anbieter handeln oft illegal. Für die Telefonfirmen Swisscom und Co. sind solche Dienste ein gutes Geschäft.
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saldo 09/2009
10.05.2009
Letzte Aktualisierung:
15.07.2015
Marc Mair-Noack
Für Marcel Spichiger aus Solothurn war der deklarierte Preis für den SMS-Chat namens «Flirt & Date» hoch, aber bezahlbar: «CHF 2.40/sms» kostete der Chat laut Zeitungsinserat. Schon bald tauschte sich Spichiger per Handynachricht mit einer «Nadine» aus. Was er nicht wusste: Nicht nur die eigenen SMS verursachten ihm Kosten, sondern auch die der unbekannten Gesprächspartnerin. Und die deckte ihn regelrecht mit SMS ein. Pro Stunde erhielt e...
Für Marcel Spichiger aus Solothurn war der deklarierte Preis für den SMS-Chat namens «Flirt & Date» hoch, aber bezahlbar: «CHF 2.40/sms» kostete der Chat laut Zeitungsinserat. Schon bald tauschte sich Spichiger per Handynachricht mit einer «Nadine» aus. Was er nicht wusste: Nicht nur die eigenen SMS verursachten ihm Kosten, sondern auch die der unbekannten Gesprächspartnerin. Und die deckte ihn regelrecht mit SMS ein. Pro Stunde erhielt er im Durchschnitt 30 Nachrichten.
Die Handyrechnung war entsprechend hoch: 3725 Franken für 1552 SMS. Ob es «Nadine» überhaupt gibt, ist unklar. Sicher ist dagegen, dass die Anbieterin, die Ragunt AG in Pfäffikon SZ, die Kosten verschleierte. Dies bestätigte auch das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, an das sich Spichiger wandte. Der Mobilfunkanbieter Sunrise bestand dennoch darauf, dass er die Rechnung bezahlt.
Telefongesellschaften unternehmen nichts gegen den Missbrauch
Konsequenzen hatte der Abzocker-Trick für die Ragunt AG nicht. Sie wirbt auch heute noch auf der Kontaktseite www.date-me.ch mit ihren Flirt-Chats. Ihre Kunden lockt sie mit derselben Preisdeklaration in die Kostenfalle. Weder Sunrise noch die anderen Telefongesellschaften haben inzwischen etwas gegen diesen Missbrauch unternommen. Dabei hätten es die Unternehmen in der Hand, den Unfug abzustellen: Sie könnten die betreffenden Nummern sperren oder zumindest auf das Inkasso für die Zahlungen verzichten.
Pikanterweise übernehmen aber die Telefongesellschaften den Inkassodienst der Anbieter. Das heisst, sie holen für sie per Telefonrechnung die Gelder bei den Kunden ein. Dabei fällt ein Teil der hohen Gebühren auch an Swisscom, Sunrise oder Orange. Swisscom erhält nach eigenen Auskünften 16 Prozent der Gelder. Kostet eine 0900er- Nummer rund 3 Franken pro Minute, bleiben fast 50 Rappen pro Minute bei den Telefongesellschaften. Bei insgesamt 33 526 in der Schweiz zugeteilten 0900er-Nummern kommt auf diese Weise viel Geld zusammen. Auch die Premium-SMS sind lukrativ. Allein an Marcel Spichiger verdiente Sunrise mit dem SMS-Chat rund 600 Franken.
Weitere Anbieter agieren ungestört auf dem Markt, obwohl sie negativ aufgefallen sind. Die Info Media Group AG belästigt seit Jahren Handybesitzer mit Spam-SMS. In den schlüpfrigen Kurzmitteilungen fordert sie die Empfänger auf, ihren Namen an eine bestimmte Kurznummer zu senden. Eine illegale Methode, um ein teures SMS-Abo abzuschliessen. Trotz Reklamationen ist das Unternehmen zusammen mit den Tochterfirmen Televox AG und Infofon AG heute noch aktiv im Erotik-SMS-Bereich tätig.
Immer mehr Verfahren gegen Anbieter von 0900er-Nummern
Der Missbrauch durch solche Mehrwertdienste nimmt zu. Das Bundesamt für Kommunikation Bakom eröffnete letztes Jahr 265 Verfahren gegen 0900er-Nummern. 2007 waren es nur 160 Verfahren. Je nach Ergebnis eines solchen Verfahrens kann das Bakom 0900er-Nummern sperren lassen.
Viel früher könnten die Telefongesellschaften jedoch durch eine Zahlungssperre den Missbräuchen einen Riegel schieben. Bei den teuren Premium-SMS-Diensten sind die Kunden sogar ganz auf Swisscom und Co. angewiesen. Diese kann das Bakom nicht sperren. Doch die Telefonfirmen halten sich auch hier mit dem Schutz des Kunden vor Betrügern zurück.
Deutschland zeigt, dass es anders geht. Laut Verbraucherzentrale Bayern ist die Zahl der Beschwerden wegen Mehrwertdiensten seit 2003 massiv zurückgegangen. Damals trat ein Gesetz über den Missbrauch solcher Dienste in Kraft. Ausserdem geht laut Verbraucherzentrale die Verwaltung konsequent gegen solche Vergehen vor.
In Deutschland greifen die Behörden gegen dubiose Anbieter durch
In Deutschland kam es im Jahr 2008 zu 2232 Verwaltungsverfahren gegen dubiose Anbieter. 98 Prozent der Fälle endeten mit Abmahnungen, einer Zahlungssperre, oder der Dienst wurde abgeschaltet. Weil es häufig um betrügerische Machenschaften geht, handelt ab und zu auch die Staatsanwaltschaft unzimperlich: So durchsuchte sie wegen eines Falles von 500’000 versandten SMS-Flirtnachrichten vor drei Wochen die Geschäftsräumlichkeiten des Privatsenders RTL2 und nahm Beteiligte fest.
Die Schweizer Telekom-Anbieter wehren sich gegen den Vorwurf, wegen des guten Geschäfts mit dubiosen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Bei erwiesenem Missbrauch würden sie «vehement» vorgehen. «Wir sind nicht daran interessiert, dass die Anbieter irreführend auf Kundenfang gehen», sagt Sunrise-Sprecher Hugo Wyler. «Der Schaden, der entsteht, wenn verärgerte Kunden abspringen, ist grösser als der Verdienst durch solche Geschäfte.» Nur: Die Zahl der Anrufe von Opfern bei der saldo-Rechtsberatung zeigt das Gegenteil.Immerhin: Im Fall des Flirt-Chats scheint das Nachhaken von saldo zu helfen: Swisscom will den Betreiber von www.date-me.ch abmahnen.
So wehrt man sich
Die Gebühren von 0900er-Nummern oder sogenannten Premium-SMS-Nachrichten erscheinen meist auf den Rechnungen des Festnetz- oder Mobilfunkanbieters.
- Ein gültiger Vertrag setzt das Wissen über die Gegenleistung und den Preis voraus. Das heisst: Wurde der Preis der Dienstleistung verschleiert oder nur im Kleingedruckten erwähnt und deshalb übersehen, besteht kein gültiger Vertrag.
- Fehlt es an einem gültigen Vertrag, muss nichts bezahlt werden. Ziehen Sie den betreffenden Betrag von der Telefonrechnung ab und zahlen Sie nur den Rest der Rechnung.
- Begründen Sie in einem Begleitschreiben an den Rechnungssteller die Kürzung. Weisen Sie die Telekom-Anbieter Swisscom und Co. darauf hin, dass Sie durch einen 0900er- oder SMS-Dienst reingelegt wurden. Und dass sich der Anbieter strafrechtlich mitschuldig macht, wenn er trotz Hinweis aus der Kundschaft weiterhin für dubiose Anbieter Geld kassiert und sich dadurch mitbereichert.
- Wer Geld verlangt, muss beweisen, dass die in Rechnung gestellten Dienste auch geliefert wurden. Sind Sie unsicher, ob die in Rechnung gestellten Dienste tatsächlich erfolgt sind, können Sie vom Rechnungssteller die entsprechenden Belege verlangen.
- Wehren Sie sich, wenn Ihr Telefonanbieter nach einem begründeten Abzug auf der Rechnung den Anschluss sperrt. Der Festnetzanschluss der Swisscom darf nicht abgeschaltet werden. Die Mobilfunkanbieter machen sich zum Komplizen eines betrügerischen Dienstes, wenn sie den Anschluss nach einer ungerechtfertigten Rechnung einfach sperren.
- Wer hinter einer 0900er-Nummer steckt, kann man unter www.eofcom.ch prüfen.
- Für SMS-Nummern stellen die Anbieter Verzeichnisse zur Verfügung. So die Swisscom unter www.swisscom-mobile.ch.