Betablocker schützen nicht vor Herzinfarkt
Für Ärzte gibt es keinen Grund mehr, Betablocker gegen Bluthochdruck zu verschreiben. Dies sagt ein Herzspezialist. Jetzt reagieren die Verfasser der Schweizer Richtlinien.
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Gesundheitstipp 12/2008
02.12.2008
Christian Egg
Betablocker galten jahrzehntelang als Standardtherapie gegen zu hohen Blutdruck. Sie verlangsamen den Herzschlag, der Blutdruck sinkt. Doch seit einigen Jahren stehen diese Medikamente in der Kritik. Eine grosse Studie belegte schon vor über zwei Jahren: Betablocker schützen nur ungenügend vor Schlaganfällen, einer möglichen Folge des Bluthochdrucks (Gesundheitstipp 3/06).
Betablocker galten jahrzehntelang als Standardtherapie gegen zu hohen Blutdruck. Sie verlangsamen den Herzschlag, der Blutdruck sinkt. Doch seit einigen Jahren stehen diese Medikamente in der Kritik. Eine grosse Studie belegte schon vor über zwei Jahren: Betablocker schützen nur ungenügend vor Schlaganfällen, einer möglichen Folge des Bluthochdrucks (Gesundheitstipp 3/06).
Jetzt bestätigt eine neue Studie die Resultate. Ein Team von der Columbia-Universität in New York analysierte die Resultate von neun Einzelstudien mit insgesamt 68 000 Teilnehmern. Das Fazit ist eindeutig: Patienten, die Betablocker einnahmen, hatten zwar einen normalen Blutdruck und einen tieferen Puls. Sie hatten ein höheres Risiko, an Hirnschlag, Herzinfarkt oder Herzversagen zu sterben. Dies im Vergleich zu Patienten, die andere Blutdrucksenker nahmen.
Dieses Ergebnis stellt die geltende Lehrmeinung auf den Kopf. Denn bisher gingen Mediziner davon aus, dass ein tiefer Blutdruck automatisch das Risiko von Hirnschlag und Herztod senkt.
Der Schweizer Herzspezialist Franz Messerli ist Hauptautor der neuen Studie. Er erklärt sich das überraschende Resultat so: «Wahrscheinlich senken die Betablocker den Blutdruck vor allem in Armen und Beinen. In den grossen Blutgefässen zwischen Herz und Gehirn sinkt er dagegen nur wenig.» Und dies könne zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führen.
Messerli rät eindringlich von Betablockern ab: «Patienten und Ärzte wiegen sich in falscher Sicherheit, weil der Blutdruck normal scheint.»
Für Menschen, die einzig an hohem Blutdruck litten, gebe es «überhaupt keinen Grund, Betablocker zu nehmen», so Messerli. «Alle anderen Medikamente wirken besser.»
Dazu gehören zum Beispiel Diuretika. Sie schwemmen Wasser aus dem Körper und senken so den Blutdruck. Auch ACE-Hemmer und Kalzium-Antagonisten senken ihn und schützen weit besser vor einem Schlaganfall als Betablocker. Beide Medikament-Typen erweitern die Blutgefässe (siehe Tabelle im pdf-Artikel).
Einzig für Patienten, die bereits einen Herzinfarkt hatten oder an Herzschwäche leiden, sind Betablocker nach wie vor sinnvoll.
Die neuen Einsichten beginnen sich nun auch bei der Schweizerischen Hypertonie-Gesellschaft SHG durchzusetzen. Sie gibt für die Ärzte Empfehlungen heraus, wie Bluthochdruck zu behandeln sei. Bereits die Version 2007 räumt den Betablockern keine zentrale Stellung mehr ein. Nur in ganz bestimmten Fällen gelten sie noch als Mittel erster Wahl.
«Die neuen Erkenntnisse sind ein Meilenstein»
Doch auch damit dürfte es bald vorbei sein. Zurzeit überarbeitet die Gesellschaft ihre Empfehlungen. In der neuen Version, die im Frühjahr 2009 erscheinen soll, werde man die Studie von Franz Messerli und Kollegen berücksichtigen, sagt Paul Erne, Vorstandsmitglied der SHG. Die Bedeutung der Betablocker werde also weiter nach unten korrigiert. Erne ist Herzspezialist am Kantonsspital Luzern. Die neuen Erkenntnisse seien ein «Meilenstein», sagt er. «Über dreissig Jahre haben wir mit der offenbar falschen Vorstellung gelebt, dass Betablocker vor Herzinfarkt schützen.»
Bluthochdruck-Patientin Nelly Moser hat die Betablocker auf Anraten ihres Arztes bereits vor drei Jahren abgesetzt. Sie nimmt stattdessen Amlopin, einen Kalzium-Antagonisten. «Ich vertrage das Medikament gut, und der Blutdruck ist normal», sagt sie.
Zusätzlich isst Moser viel Obst und Gemüse und versucht, in Bewegung zu bleiben. Keine einfache Sache, denn sie hat starke Rückenschmerzen. Jetzt hat sie mit Qi Gong angefangen, in einer Seniorengruppe. «Trotzdem bin ich mit Abstand die Älteste», lacht sie. «Die staunen alle, dass ich mit 86 Jahren noch mitturne.»
«Bluthochdruck»
Das Gratis-Merkblatt gibts zum Herunterladen unter www.gesundheitstipp.ch/service.