«Wes Brot ich ess, des Lied ich sing»
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Gesundheitstipp 11/2000
01.11.2000
Gesundheitsökonom Oggier befürchtet, dass Pharmafirmen Universitäten beeinflussen
Weil der Staat spart, sponsern Pharmafirmen immer häufiger Universitätsprofessoren. Kritiker befürchten, dass medizinische Forschungsprojekte, die keinen Gewinn abwerfen, in der Schublade verschwinden.
Paula Lanfranconi redaktion@puls-tip.ch
«Das ist ein absolut idealer Deal für uns», sagt Thomas Müller-Graf, Rechtskonsulent der Universität Bern. Der Grund fü...
Gesundheitsökonom Oggier befürchtet, dass Pharmafirmen Universitäten beeinflussen
Weil der Staat spart, sponsern Pharmafirmen immer häufiger Universitätsprofessoren. Kritiker befürchten, dass medizinische Forschungsprojekte, die keinen Gewinn abwerfen, in der Schublade verschwinden.
Paula Lanfranconi redaktion@puls-tip.ch
«Das ist ein absolut idealer Deal für uns», sagt Thomas Müller-Graf, Rechtskonsulent der Universität Bern. Der Grund für Müllers Freude: Novartis sponsert für 2,5 Millionen Franken einen Lehrstuhl für Psychosomatik und Rehabilitation. Dieser war durch Sparmassnahmen gefährdet. Für die medizinische Fakultät ist das eine Premiere.
Die Idee, den Chemiemulti anzufragen, kommt vom jetzigen Lehrstuhlinhaber Professor Rolf H. Adler. Er tritt Anfang 2001 altershalber zurück. Adler betreibt am Berner Inselspital so genannte bio-psycho-soziale Medizin: Er untersucht nicht nur den Körper, sondern bezieht auch psychische und soziale Faktoren in sein Behandlungskonzept ein.
«Das Inselspital», sagt Adler, «muss sparen, und diese Art Medizin steht nicht zuoberst auf seiner Prioritätenliste.» Deshalb habe er «zur Notbremse gegriffen».
Diese Notbremse ist Novartis. Deren Firmenchef Daniel Vasella war in den Achtzigerjahren Oberarzt unter Adler und hat dessen Arbeit schätzen gelernt. Das Lehrstuhl-Sponsoring sei Image-Förderung, sagt Novartis-Sprecher Felix Räber. Auf die Auswahl des Professors und die Ausrichtung des Lehrstuhls nehme das Unternehmen aber keinen Einfluss.
Und wie hält es die Uni Bern mit der Freiheit von Lehre und Forschung? Thomas Müller-Graf wiegelt ab. «Novartis hat kein Exklusivrecht an den Forschungsergebnissen.» Die Hochschule steckt allerdings in der Zwickmühle: Gebeutelt vom Spardruck, ist sie froh um Novartis. Anderseits fürchtet sie aber auch, die Sponsoren könnten die Forschung zu stark beeinflussen.
Zürcher Universität will die Industrie einspannen
Zurzeit verhandelt auch die Universität Zürich mit der Industrie über die ersten gesponserten Medizinprofessuren. Es geht um Lehrstühle im Herz-Kreislauf-Bereich und in den Neurowissenschaften.
Wer die Verhandlungspartner sind, will Professor und Dekan Günter Burg nicht sagen. Er räumt jedoch freimütig ein, dass die Universität die Zusammenarbeit mit der Industrie suche. Denn «elitäre Forschung ohne Anwendungsperspektive» könne man sich kaum mehr leisten. Burg: «Die zentrale Frage ist: Wie weit lässt man sich kaufen?»
An der Universität Basel sponsert Novartis für fünf Jahre eine Professur für Pharmakologie, und Roche lässt für eine Professur in Immunologie zwölf Millionen Franken springen. Die Uni Basel sei aber in keiner Weise abhängig von der Industrie, verteidigt sich der Adjunkt des Rektors, Beat Münch: «Wir bestimmen selber über Forschungsthemen oder Personen einer Stiftungsprofessur.» Die Industrie habe auch kein Vorgriffsrecht auf Forschungsresultate.
Es sind jedoch nicht nur Lehrstühle oder gediegene Sponsorplaketten, welche die Industrie interessieren: Um an der Börse zu bestehen, sind die Pharmafirmen ständig auf der Suche nach neuen, umsatzträchtigen Medikamenten, nach so genannten Blockbusters. Und das geht nicht ohne modernstes Know-how.
Immer häufiger schliessen sie deshalb Forschungskooperationen mit Universitäten ab. Damit ist auch den Hochschulen gedient. Denn der Staat hält sie finanziell an der kurzen Leine und verlangt von ihnen immer mehr, sich wie Unternehmen zu verhalten. Einen der grössten Kooperationsverträge - es geht um 40 Millionen Franken, verteilt auf 10 Jahre - schloss Novartis kürzlich mit dem Zentrum für Neurowissenschaften der Uni und ETH Zürich ab.
Um von der Industrie nicht über den Tisch gezogen zu werden, haben die meisten Schweizer Hochschulen inzwischen so genannte Technologietransferstellen eingerichtet. Die Unis Zürich und Bern zum Beispiel gründeten 1999 die Unitectra.
Lizenzverträge: Schulung für Uni-Angehörige
Eines ihrer wichtigsten Ziele, so Geschäftsführer Herbert Reutimann, sei die bessere Ausbildung der Uni-Angehörigen zum Thema Patente: «Erfolgreiche Forschungsprojekte führen häufig zu interessanten Resultaten, die von den beteiligten Firmen kommerziell umgesetzt werden können.» Damit die Früchte der gemeinsamen Anstrengungen gerecht verteilt werden können, braucht es Lizenzverträge. Unitectra hilft den Uni-Angehörigen, sich im Dschungel von Kooperationen und Patenten zurechtzufinden.
Inzwischen gründen viele Hochschulangehörige ihre eigene Firma, so genannte Spin-offs, um Forschungsresultate selber in klingende Münze umzuwandeln.
Als Vorbild für einen erfolgreichen ETH-Spin-off gilt etwa die Cytos Biotechnology in Schlieren: Vor fünf Jahren hatte der junge Firmengründer ein Zellwachstums-Gen entdeckt und patentieren lassen. Inzwischen hat er bereits 65 Mitarbeiter. Zu seinen Kunden gehören führende Pharmafirmen. Nächstes Jahr will das Jungunternehmen an die Börse.
«Diese Tendenzen zur Kommerzialisierung sind eine Folge der Sparpolitik der letzten Jahrzehnte. Aufhalten lassen sie sich nicht mehr», sagt der Zürcher Gesundheitsökonom Willy Oggier. Eine fragwürdige Entwicklung, findet er. Denn gerade im Pharmabereich gelte der Spruch: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Bedroht sieht Oggier vor allem die Forschungsfreiheit der Hochschulen: Erkenntnisse, die nicht im Sinne der Industrie sind, könnten in der Schublade verschwinden. Zudem könnte möglicherweise kaum mehr Geld in Forschungsvorhaben fliessen, welche ausserhalb des renditeträchtigen Gentech-Bereichs liegen.
Auch die Zürcher Medizin-Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle traut solchen Transferverträgen zwischen den Unis und der Industrie nicht: «Die Unternehmen profitieren vom Wissen, das mit Steuergeldern an den Unis erarbeitet wird: Sie lassen es patentieren und machen damit Riesengewinne.»