Trotz Verbot der Eltern geimpft
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Gesundheitstipp 4/2001
01.04.2001
Wenn Schulärzte impfen, gibt es immer wieder Zwischenfälle. Jetzt ist sogar der Schweizer Schulärzte-Präsident gestolpert: Daniel Frey hat ein Kind gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft, obwohl die Eltern dies verboten haben. Kinderärzte fordern, Reihenimpfungen abzuschaffen.
Thomas Grether thgrether@pulstipp.ch
Zuerst dachte er sich nicht viel dabei, als der schulärztliche Dienst der Stadt Zürich anrief. Der Schularzt habe seine Tochter Claudia (Name geän...
Wenn Schulärzte impfen, gibt es immer wieder Zwischenfälle. Jetzt ist sogar der Schweizer Schulärzte-Präsident gestolpert: Daniel Frey hat ein Kind gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft, obwohl die Eltern dies verboten haben. Kinderärzte fordern, Reihenimpfungen abzuschaffen.
Thomas Grether thgrether@pulstipp.ch
Zuerst dachte er sich nicht viel dabei, als der schulärztliche Dienst der Stadt Zürich anrief. Der Schularzt habe seine Tochter Claudia (Name geändert) nicht gegen Diphterie, Tetanus und Pertussis impfen können, erklärte ihm eine freundliche Praxisangestellte. Der Impfstoff sei ausgegangen.
Jetzt fiel Familienvater Christian Steiner (Name geändert) aus allen Wolken: «Woher kommt dann die Einstichstelle am Arm meiner Tochter, wenn der Schularzt sie gar nicht geimpft hat?» Die Antwort kam postwendend: Claudia habe eine Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) erhalten.
Doch genau diese hatten Claudias Eltern verboten. Auf einem Formular, das sie beim schulärztlichen Dienst abgeben mussten, hatten sie bei der MMR-Impfung klar «nein» angekreuzt. Trotz Kreuz und Unterschrift spritzte der Schularzt Claudia den MMR-Wirkstoff. Steiner: «Er machte dies gegen unseren ausdrücklichen Willen. Wir wollten nicht, dass man Claudia einen zweifelhaften Wirkstoff verabreicht.»
Für die MMR-Spritze verantwortlich war kein gewöhnlicher Schularzt, sondern der Direktor des schulärztlichen Dienstes der Stadt Zürich, Daniel Frey. Er ist auch noch Präsident der Fachgruppe Schweizer Schulärzte. Es handle sich um einen Irrtum, der gelegentlich passiere, habe Frey laut Vater Steiner darauf gesagt. So etwas komme in der Medizin eben vor und sei auch in diesem Fall hinzunehmen.
Das liess Steiner nicht auf sich beruhen. Vor einem Monat reichte er gegen Schularzt Frey Strafanzeige ein - wegen fahrlässiger Körperverletzung. «Die gleichgültige Haltung gegenüber der körperlichen Integrität meiner 8-jährigen Tochter hat mich dazu veranlasst.» Das Verfahren sei eröffnet worden, bestätigt die Bezirksanwaltschaft Zürich dem Puls-Tipp.
Obwohl der Vater ihn vom Arztgeheimnis entbunden hätte, will Schularzt Daniel Frey zum Fall keine Stellung nehmen: «Ich bin auch noch ans Amtsgeheimnis gebunden», sagt er.
Christian Steiner geht es mit der Anzeige nicht nur um Schularzt Frey. Es geht ihm um mehr. Er will, dass der Staat damit aufhört, «massenhaft Kinder in anonymer Atmosphäre durch Impfungen zu schleusen». Da sei die Gefahr für Fehler gross, wie der Fall seiner Tochter zeige. Schulärzte preisen Gratis-Impfungen an. Viele Eltern würden dann ihren Hausarzt nicht mehr konsultieren. Besser sei, die Impfungen vom Haus- oder Kinderarzt durchführen zu lassen. Dann zahlt die Krankenkasse, den Eltern bleiben höchstens 10 Prozent Selbstbehalt. Aber es liessen sich dumme Fehler weitgehend vermeiden. «Der Hausarzt kennt die Kinder meist seit Geburt. Die Eltern können sich bei ihm persönlich über die Vor- und Nachteile des Impfens informieren», sagt Steiner.
Kinderärzte sowie Eltern- und Patientenorganisationen fordern seit Jahren, Reihenimpfungen abzuschaffen. «Es ist besser, wenn der Haus- oder Kinderarzt bei den Vorsorge-Untersuchen impft. Er kennt das Kind und seine Krankengeschichte», sagt Thomas Gallmann, Präsident der Zürcher Kinderärzte. Schulärzte sollen laut Gallmann nur noch Kinder impfen, die nicht regelmässig zum Hausarzt gehen.
Hannes Geiges, selber Schularzt und Ko-Präsident des Forums für Praxispädiatrie, doppelt nach: «Schulärzte sollen die Impfausweise kontrollieren. Steht eine Impfung an, können die Eltern sie beim Hausarzt machen lassen.»
«Schulärzten fehlt die Zeit für Aufklärung»
Tatsächlich ohne Reihenimpfungen geht es in Kantonen wie Luzern, Baselland oder Graubünden. In Luzern impfen seit über 20 Jahren die Haus- und Kinderärzte. «Das hat seine Gründe», sagt der Luzerner Kantonsarzt Fridolin Holdener. «Kinder sind keine Nummern. Es ist es höchste Zeit, sich von den antiquierten Reihenimpfungen zu verabschieden.» Laut Holdener ist es Schulärzten kaum möglich, richtig über die Impfungen aufzuklären. «Da fehlt die Zeit.»
Die Aufklärung sei «Kernstück» des Gesprächs mit dem Patienten, sagte der Allgemeinarzt und Tropenmediziner Benedikt R. Holzer am letztjährigen Impfkongress in Fribourg. Laut Holzer, der auf juristische Fragen spezialisiert ist, muss ein Arzt über folgende Punkte aufklären:
- Zweck der Impfung und Wirksamkeit,
- Risiken mit und ohne Impfung,
- unerwünschte Wirkungen,
- alternative Behandlungsmöglichkeiten.
Längst nicht alle Ärzte stehen hinter den vom Bundesamt für Gesundheit geförderten MMR-Impfkampagnen. «Damit gelingt es nicht, Masern, Mumps und Röteln auszurotten», bemängelt Hans-Ulrich Albonico von der Ärztegruppe für differenzierte Impfungen. Eine MMR-Impfung sei gut zu überlegen. «Kinderkrankheiten lösen beim Kind wichtige Entwicklungs-Schritte aus. Sie stärken das Immunsystem ungleich besser als Impfungen.»
Über solche Fragen fühlen sich viele Eltern unvollständig aufgeklärt, obwohl manche Gemeinden Infoblätter verschicken. Der Zeitdruck ist zu gross, vor allem bei Impfaktionen in der Schule. Das führt dazu, dass oft nicht einmal klar ist, welcher Impfstoff gespritzt wurde. «Schulärzte kleben die Impf-Etiketten manchmal nicht in die Impfausweise», sagt Anita Petek, Vizepräsidentin der kritischen Impfberatung Aegis. «Eltern können so bei Nebenwirkungen nicht richtig reagieren.» Auch Allergien auf Stoffe wie Hühnereiweiss oder Quecksilber, die in Impfstoffen vorkommen, seien im Impfausweis selten eingetragen. Das sei - wenn überhaupt - in der Krankengeschichte des Hausarztes vermerkt.
Kantone haben Angst vor ungenügendem Impfschutz
Der Zustand sei unbefriedigend, kritisieren Kinderärzte. «Schulärzte funken uns in die Arbeit», sagt ein Arzt. Wie im Fall eines Zürcher Schülers: Der Schularzt impfte ihn, obwohl der Kinderarzt - wegen einer früheren allergischen Reaktion - erst Jahre später impfen wollte. Ärzte haben Kenntnis von Kindern, die doppelte Tetanus-Dosen erhalten haben: zuerst eine vom Kinderarzt, dann kurz darauf irrtümlich nochmals eine vom Schularzt. «Das Immunsystem kann darauf mit schmerzhaften Rötungen, Schwellungen und Fieberschüben reagieren», warnt Professor Reinhard Seger, Immunologe am Kinderspital Zürich. Doppelimpfungen kommen laut Schularzt Frey «extrem selten» vor. «Eine ungenügende Durchimpfungsrate ist viel schlimmer, als wenn ein Kind einmal eine Impfung zu viel erhält.»
Trotz aller Bedenken halten Kantone wie Aargau, Zürich, Basel oder St. Gallen an den Reihenimpfungen fest. «Ohne sie verschlechtert sich die Durchimpfungsrate gerade in städtischen Verhältnissen wie in Zürich massiv», sagt Schulärzte-Präsident Frey. Es gebe Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Schichten. «Deshalb hat ein lückenloser Impfschutz eine hohe Priorität.» Es sei ein «völliger Unsinn», wenn der Schularzt nur noch Impfempfehlungen abgebe, sagt der Schularzt und Immunologe Markus Gassner aus Grabs SG. Da würden viele Kinder durch die Maschen schlüpfen. Der Schularzt müsse Impflücken «aktiv schliessen». Wenn Impfungen vergessen gingen, müsse man sie nachholen, wenn die Kinder gerade beim Schularzt sind. «Wir stellen immer wieder fest, dass 14-Jährige völlig ungenügend geimpft sind», sagt auch Ursula Ackermann, Leiterin des Gesundheitsdienstes der Stadt Bern.
MMR-Impstoff Triviraten ist höchst umstritten
Doch Kinderärzte sind unzufrieden damit, wie und vor allem was Schulärzte impfen. Neben Kinderlähmung, Diphterie, Tetanus, Pertussis und Hepatitis B impfen Schulärzte in vielen Kantonen mit dem höchst umstrittenen MMR-Impfstoff Triviraten. «Kinder sollte man besser gar nicht impfen als mit Triviraten», warnten Wissenschaftler des Kantonsspitals St. Gallen kürzlich im Puls-Tipp. Der Wirkstoff schützt laut Studien ungenügend gegen Mumps. Deutschland nahm den Impfstoff deshalb längst vom Markt und verwendet einen wirksameren. In den USA wurde Triviraten gar nie zugelassen. Trotzdem spritzen Schweizer Schulärzte den Kindern weiterhin Triviraten, in Zürich kürzlich im Rahmen einer offiziellen Impfaktion.
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Der Puls-Tipp weiss: Anfang Januar trafen sich verärgerte Kinderärzte zu einer dringlichen Konferenz, um Strategien gegen die fragwürdige Impferei der Schulärzte zu entwickeln. «Selbst Ärzte, die sich minimal weiterbilden, müssten wissen, dass sie Triviraten nicht mehr gebrauchen sollten», sagt ein Arzt, der anonym bleiben will. Ein anderer sagt: «Es bringt nichts, wenn Schulärzte die Kinder gratis, aber schlecht impfen.»
Einen Monat später setzte Schularzt-Leiter Daniel Frey den umstrittenen Impfstoff ab. Vor dem Entscheid habe er Risiken und Nebenwirkungen anderer Impfstoffe genau prüfen müssen, sagt Frey. Immerhin bekamen in Zürich noch letztes Jahr 2300 Kinder Triviraten gespritzt. «Mit Triviraten hatten wir während zehn Jahren nie Probleme.»
Fast gleichzeitig mit Zürich strich auch der Schulärztliche Dienst des Kantons Basel-Stadt Triviraten aus dem Programm. Dort bekamen letztes Jahr noch 866 Kinder den Impfstoff gespritzt.
Kritische Kinderärzte wollen den Schulärzten nicht nur das Impfen verbieten. Sie kämpfen dafür, die 1923 wegen Seuchengefahr eingeführten Reihenuntersuche ganz abzuschaffen.
«Für Schulärzte gibt es nützlichere Aufgaben»
Ausgerechnet einer aus den eigenen Reihen macht sich dafür landesweit stark: Kinder- und Schularzt Hannes Geiges, Ko-Präsident des Forums für Praxispädiatrie. «Die Untersuche sind weitgehend nutzlos, wissenschaftlich fragwürdig und verletzen das Persönlichkeitsrecht der Kinder», sagt er.
Geiges stört zum Beispiel, dass Schulärzte noch immer das Gewicht messen. «Damit täuschen sie seriöse Vorsorgeuntersuche vor. Eltern meinen dann irrtümlich, der Untersuch ersetze den Gang zum Kinderarzt.» Schulärzte haben laut Geiges «wichtigere und zeitgemässere Aufgaben». Sie sollten:
- Schulbehörden und Lehrer in Gesundheitsfragen beraten,
- Kinder über Drogen, Gewalt, Schwangerschafts-Verhütung, Aids, Ernährung oder psychische Folgen von Mobbing aufklären,
- Die Impfausweise kontrollieren und nötige Impfungen beim Haus- oder Kinderarzt veranlassen.
Masern, Mumps, Röteln (MMR) - Wer bis zur Pubertät nicht erkrankt, sollte sich impfen lassen
Das Impfen gegen Masern, Mumps und Röteln ist umstritten. Lassen Sie sich vom Arzt nicht unter Druck setzen. Die Impfung ist freiwillig, einen gesetzlichen Zwang gibt es nicht.
- Eine MMR-Impfung kann alle Symptome der Krankheiten auslösen, meist in stark abgeschwächter Form.
- Komplikationen der Krankheiten können auch auftreten, wenn Kinder nach einer Impfung die Krankheit trotzdem bekommen.
- Lassen Sie sich über die Vor- und Nachteile des Nicht-Impfens aufklären.
- Die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Impfstoffen sind nicht genügend untersucht. Verlangen Sie deswegen vom Arzt einzelne Impfstoffe statt des Kombi-Impfstoffs. Diese Einzelimpfstoffe sind wie Kombi-Impfstoffe kassenpflichtig.
Falls Sie entscheiden, Ihre Kinder nicht impfen zu lassen, sollten Sie Folgendes beachten:
- Masern: Wer bis zur Pubertät nicht an Masern erkrankt ist, sollte eine Impfung ernsthaft erwägen. Das Risiko von Komplikationen der Krankheit steigt ab der Pubertät. Dazu gehören: Mittelohrentzündung, Lungenentzündung oder Hirnhautentzündung.
- Mumps: Junge Männer, die bis zur Pubertät nicht an Mumps erkrankt sind, sollten sich mit Vorteil impfen lassen. Seltene Komplikationen der Krankheit: Schwerhörigkeit und Hodenentzündung. Dass die Hodenentzündung unfruchtbar macht, ist wissenschaftlich nicht belegt.
- Röteln: Junge Frauen ab der Pubertät, die Röteln noch nicht hatten, lassen sich mit Vorteil impfen. Seltene, aber gravierende Komplikation der Krankheit: Schädigung des Embryos, wenn die Krankheit in der Schwangerschaft auftritt.
Informationen übers Impfen und über Kinderkrankheiten:
- Aegis Schweiz, kritische Impfberatung, Broschüren und Kurse zu Impffragen, Tel. 041 250 24 74, Fax 041 250 23 63
- Alternativer Impfplan und weitere Infos im Internet unter www.dr-walser.ch/impfung.htm
- SKS-Broschüre «Impfen, Grundlagen für einen persönlichen Impfentscheid» (10 Franken zuzüglich Versand), zu bestellen bei der Stiftung für Konsumentenschutz, Postfach, 3000 Bern 23, Tel. 031 307 40 40