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Gesundheitstipp 6+7/2001
01.06.2001
Tobak gegen Akne Kritiker klagen an: Medikament sei an Suiziden mitschuldig
Mindestens sechs Leute begingen in den USA Selbstmord - während einer Akne-Behandlung mit Roaccutan. Neun Menschen versuchten, sich umzubringen. Das Medikament steht im Kreuzfeuer der Kritik.
Claudia Peter cpeter@pulstipp.ch
Bei Barbara Kobelt aus Schaffhausen brach die Akne spät aus. Mit 23 Jahren war das Gesicht der angehenden Logopädin auf einmal mit roten Pusteln übers...
Tobak gegen Akne Kritiker klagen an: Medikament sei an Suiziden mitschuldig
Mindestens sechs Leute begingen in den USA Selbstmord - während einer Akne-Behandlung mit Roaccutan. Neun Menschen versuchten, sich umzubringen. Das Medikament steht im Kreuzfeuer der Kritik.
Claudia Peter cpeter@pulstipp.ch
Bei Barbara Kobelt aus Schaffhausen brach die Akne spät aus. Mit 23 Jahren war das Gesicht der angehenden Logopädin auf einmal mit roten Pusteln übersät. Weder Salben noch Antibiotika halfen. Schliesslich schlug die Hautärztin ihr Roaccutan vor. «Sie hat gesagt, das sei zwar ein starkes Medikament. Aber dafür werde die Akne garantiert für immer verschwinden», erinnert sich die junge Frau.
Doch nach Beginn der Behandlung verschwand nicht etwa die Akne. Stattdessen bekam Barbara Kobelt abendliche Panikattacken mit Herzrasen und Schweissausbrüchen. Sie geriet in eine Phase depressiver Verstimmungen. «Das kannte ich an mir überhaupt nicht», sagt sie.
Kobelt ist nicht die Einzige, die unter Roaccutan plötzlich mit Depressionen zu kämpfen hatte. In den USA kamen psychische Nebenwirkungen des Aknemittels erst vor kurzem in die Schlagzeilen. Anlass war der Selbstmord eines 17-Jährigen. Sein Vater machte Roaccutan verantwortlich und erklärte, Patienten und Eltern würden über die Gefahr psychischer Veränderungen nicht aufgeklärt. Der Vater gab seine Erklärung vor laufenden Kameras ab. Er ist Kongressabgeordneter der Demokraten.
Die folgende parlamentarische Anhörung brachte Alarmierendes zutage: Die Herstellerfirma Roche hat bis April 2000 weltweit 5665 Berichte über Nebenwirkungen von Roaccutan erhalten. Neuere Zahlen wollte die Firma dem Puls-Tipp nicht herausgeben.
Fast zwanzig Prozent dieser Meldungen betrafen psychische Störungen. Innerhalb eines einzigen Jahres registrierte die Firma laut Kongress-Bericht neun Suizidversuche und sechs Suizide unter Roaccutan.
Auch bei der Schweizer Nebenwirkungszentrale Sanz gehen nach Auskunft des Leiters Max Kuhn pro Jahr etwa zehn Berichte über Nebenwirkungen bei Roaccutan ein. Etwa ein Drittel davon betrifft die Psyche. In «seltenen Fällen» seien auch Suizidversuche erwähnt gewesen, erklärt Kuhn.
Roche hat vor wenigen Jahren der ärztlichen Fachinformation folgende Warnung hinzugefügt: «Roaccutan wurde in Verbindung gebracht mit unerwünschten Wirkungen auf die Psyche, namentlich depressiven Zuständen. Auf solche Symptome ist zu achten, und die mögliche Suizid-Gefährdung ist ernst zu nehmen.»
Auf dem Beipackzettel für Patienten steht diese Warnung allerdings bis heute nicht. Nach Angaben von Firmensprecherin Jacqueline Wallach will dies Roche jetzt nachholen. Trotzdem beharrt sie auf der Aussage, dass kein Zusammenhang zwischen Roaccutan und Depressionen besteht. Wissenschaftliche Studien hätten keinen Nachweis erbracht. «Die meisten Leute, die Roaccutan nehmen, sind Teenager», erklärt sie. «In dieser Altersgruppe ist die Depressionsrate generell grösser als in anderen Teilen der Bevölkerung.»
US-Behörde: Depressionen begannen mit Roaccutan
Die US-Arzneimittel-Behörde FDA gibt sich mit einer solchen Erklärung nicht zufrieden. Der Grund: In den USA gibt es mehrere Berichte über Menschen, deren Depression just in dem Moment einsetzte, als sie mit Roaccutan begannen. Als sie das Medikament absetzten, verschwanden die Depressionen. Als sie es erneut einnahmen, waren auch die Depressionen wieder da. Ein endgültiger Beweis für einen Zusammenhang sei dies zwar nicht, erklärte FDA-Expertin Jonca Bull vor dem US-Kongress. «Aber der Verdacht drängt sich auf.»
Bereits vor drei Jahren ergriff die FDA deshalb zusätzliche Vorsichtsmassnahmen. In einem Brief machte sie Hautärzte, Psychologen und Psychiater auf den vermuteten Zusammenhang zwischen Roaccutan und Depressionen aufmerksam. Gleichzeitig verbot sie Roche zu behaupten, Roaccutan habe positive Auswirkungen auf die Psyche.
Schweizer Hautärzte sehen sich in einem Dilemma. Akne ist die häufigste Hautkrankheit. 85 Prozent aller Teenager sind betroffen. Vor allem bei Frauen hält die Krankheit oft bis ins Erwachsenenalter an.
Die Vorschriften der IKS sind aber klar: Roaccutan kommt nur bei schweren Fällen von Akne in Frage. «Zuerst muss man alle anderen Methoden versuchen», sagt auch Markus Fritz von der Schweizerischen Medikamenten-Informationsstelle SMI. Das können Benzoylperoxid, Retin A, Antibiotika oder die Pille sein.
Stephan Lautenschlager, Dermatologe am Zürcher Triemli-Spital, weist wie Roche darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Roaccutan und Depressionen nicht eindeutig bewiesen sei. Die Warnungen der FDA seien eine «Vorsichtsmassnahme». Dennoch fordert er, dass nur noch Hautärzte oder Allgemeinpraktiker mit nachgewiesener Qualifikation in Dermatologie Roaccutan verschreiben dürfen.
Doch Hautärzte sind keine Psychologen. Das macht Allan Guggenbühl Sorgen.
«Ärzte müssen die suizidgefährdeten Patienten früh erkennen», meint der Jugendforscher. Die Suizidgefahr sei auf der Packungsbeilage erwähnt. Deshalb sollten Ärzte generell sehr vorsichtig beim Verschreiben des Medikaments sein, meint Guggenbühl. Doch er beobachtet einen gegenläufigen Trend: «Die Jugend ist immer stärker medikalisiert. Da wird viel zu schnell verschrieben und geschluckt.» Die grosse Zahl der Verschreibungen von Roaccutan gibt ihm Recht.