Kaiserschnitt: Schneiden statt leiden
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Gesundheitstipp 12/2001
01.12.2001
In vielen Spitälern kommt fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt - häufig auf Wunsch der Frau
Immer mehr Frauen, die normal gebären könnten, entscheiden sich für einen Kaiserschnitt. Nicht nur weil Ärzte dazu raten, sondern aus Angst vor den Geburtsschmerzen. Hebammen zeigen sich erschüttert.
Von Claudia Peter cpeter@pulstipp.ch
Chiara ist ein Wunschkind. «Ich habe mich so auf ihre Geburt gefreut», erinnert sich Ursula Kohler, die ...
In vielen Spitälern kommt fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt - häufig auf Wunsch der Frau
Immer mehr Frauen, die normal gebären könnten, entscheiden sich für einen Kaiserschnitt. Nicht nur weil Ärzte dazu raten, sondern aus Angst vor den Geburtsschmerzen. Hebammen zeigen sich erschüttert.
Von Claudia Peter cpeter@pulstipp.ch
Chiara ist ein Wunschkind. «Ich habe mich so auf ihre Geburt gefreut», erinnert sich Ursula Kohler, die Mutter der heute Dreijährigen. Doch während der Geburt passierte es: Chiara kam nicht. Die Ärzte entschlossen sich zum Kaiserschnitt. Das Becken der Mutter sei zu schmal, sagten sie ihr später. Und Ursula Kohler glaubte ihnen. «Lange Zeit dachte ich, dass eine natürliche Geburt für mich nicht möglich ist», erzählt sie.
Doch als sie zum zweiten Mal schwanger war, ging sie ins Zürcher Triemli-Spital. Dort sind Ärztinnen und Ärzte spezialisiert auf Frauen, bei denen andere zum Kaiserschnitt raten. Gynäkologin Beate Schnarwyler ist überzeugt: «Eine natürliche Geburt ist für die meisten möglich, auch wenn eineFrau zierlich ist und daher äusserlich der Verdacht auf ein zu enges Becken besteht.»
Ursula Kohlers Entschluss stand schnell fest: Ihr zweites Kind sollte wenn möglich auf natürliche Weise zur Welt kommen. Bei Nina dauerte das zwar 19 Stunden. Dennoch sagt die Mutter: «Es war ein wunderschönes Erlebnis. Ich bin froh, dass ich so eine Geburt erleben durfte.»
Für Gynäkologin Schnarwyler ist klar, dass viele ihrer Fachkollegen bei der Geburt zu rasch zum Skalpell greifen. Ihre Vermutung: «Es ist einfach bequemer, den Termin der Geburt im Voraus zu bestimmen. Bei einem Kaiserschnitt müssen die Ärzte und Ärztinnen nicht tagelang bereitstehen oder am Wochenende arbeiten.»
Ein Blick auf die Schweizer Privatspitäler bestätigt den Verdacht. Bei allen vom Puls-Tipp angefragten Privatspitälern hat sich die Kaiserschnitt-Rate binnen zehn Jahren verdoppelt.
Eine der tiefsten Raten hat dagegen das Regionalspital Affoltern ZH. Dort war im Jahr 2000 gerade jedes achte Kind per Kaiserschnitt zur Welt gekommen. Selbst das ist Chefarzt Robert Lüchinger noch zu viel. Er hat wenig Verständnis für Spitäler, in denen jede dritte Frau einen Kaiserschnitt bekommt: «Raten ab 25 Prozent sind jenseits jeder medizinischen Notwendigkeit», sagt er. Und: «Ärzte, die diese hohen Raten normal finden, sollten sich und der Patientin eingestehen, dass dafür persönliche Gründe ausschlaggebend sind, anstatt medizinische Begründungen vorzuschieben.»
Ärzte und Spitäler bestreiten finanzielle Interessen
Henning Schneider, Chefarzt an der Frauenklinik am Berner Inselspital, sagt zudem, dass der finanzielle Aspekt einer Kaiserschnitt-Geburt «auch nicht von der Hand zu weisen» sei. «Der Arzt ist im Konflikt. Er soll im Interesse der Frauen beraten, hat aber eigene Interessen im Sinn.»
Gemäss Helsana-Sprecher Christian Beusch verdient der Arzt bei einer halbprivat versicherten Patientin 100 Franken mehr für den Kaiserschnitt. Bei Privatpatientinnen sind es 400 Franken. Teurer sind allerdings die Anästhesisten und Assistenzärzte, die bei einem Kaiserschnitt mitarbeiten. Sie treiben den Preis der Kaiserschnitt-Geburt bei halbprivat Versicherten auf 3500 Franken, bei privat Versicherten gar auf 5600 Franken. Für Ärzte und Spitäler sind Kaiserschnitte ein Geschäft.
Pierre Villars, Belegarzt in fünf Zürcher Privatspitälern, weist finanzielle Motive von sich. «Wir haben es mit Frauen zu tun, die selbst über ihre Geburt entscheiden wollen», rechtfertigt er die hohen Kaiserschnitt-Raten. «Diese Frauen wollen den Kaiserschnitt, weil sie sich vor Inkontinenz und Problemen im Sexualleben nach einer natürlichen Geburt fürchten.»
Chefarzt Henning Schneider vom Inselspital hält diese Furcht für unbegründet: «Wenn man die natürliche Geburt nicht bis zum Äussersten hinauszieht, ist das Risiko minim», sagt er.
Allerdings: Bei Frauen, die wegen einer früheren schweren Geburt grosse Angst haben, hält auch Schneider den Wunsch-Kaiserschnitt für möglich. «Der erste Schritt ist, der Frau zu helfen, ihr altes Geburtserlebnis zu verarbeiten», erklärt er. «Aber gleichzeitig muss man ihr garantieren, einen Kaiserschnitt zu machen, wenn sie trotz aller Hilfsangebote darauf besteht.»
Kathrin Grether aus Fislisbach AG hat beides erlebt: natürliche Geburt und Kaiserschnitt. Die Geburt von Tochter Fabienne, 3, hat sie kaum wahrgenommen. «Die Schmerzen haben mich fast zerrissen. Hinterher war ich überglücklich, das Baby in den Armen zu halten. Aber auch froh, dass es vorbei war.»
«Ich würde sofort wieder einen Kaiserschnitt wählen»
Auch für den heute einjährigen Sohn Laurin war eine natürliche Geburt geplant. Als Kathrin Grether jedoch in der Schwangerschaft Herzrhythmusstörungen bekam, entschied sie sich für den schonenderen Kaiserschnitt. Diesmal nahm sie die Geburt bewusst wahr, scherzte gar mit dem Personal und spürte wenig später Laurin in den Armen. «Das war eindeutig ein schöneres Erlebnis als die natürliche Geburt», sagt sie. Für sie ist heute klar: «Beim nächsten Kind würde ich sofort wieder den Kaiserschnitt wählen.»
Brigitte Meissner, Hebamme aus Winterthur, ist erschüttert über solche Worte. Denn sie ist überzeugt: Die natürliche Geburt ist besser für Mutter und Kind. Die Wissenschaft gibt ihr Recht. Unbestritten ist, dass sich bei natürlich geborenen Kindern Lunge und Stoffwechsel besser entwickeln. Doch selbstkritisch setzt sie hinzu: «Wir haben als Hebammen den Schmerz der Frauen zu wenig beachtet.»
Dennoch appelliert Brigitte Meissner an alle Frauen, wenigstens zu versuchen, auf natürlichem Weg zu gebären. Denn auch für die Psyche des Kindes spielt die natürliche Geburt eine Rolle. «Der Kaiserschnitt reisst das Kind unvermittelt aus der Gebärmutter», sagt Brigitte Meissner. Meistens geschieht das schon in der 37. bis 39. Woche. «Wenn die Wehen einsetzen, hat das Kind selbst das Signal zur Geburt gegeben. Es ist bereit.»
So bereitenSie sich optimal vor
- Besprechen Sie mit Ihrer Hebamme und Ihrem Arzt vor der Geburt, wie lange Sie die Geburt durchhalten und wie Sie die Schmerzen lindern wollen.
- Akupunktur und Homöopathie gehören neben der chemischen Periduralanästhesie (PDA) zu den wirksamsten Methoden, um die Geburtsschmerzen zu bekämpfen.
- Viele Probleme während der Geburt haben mit Verspannungen im Becken zu tun.
- Sie können in der Schwangerschaft vorbeugen. Fragen Sie Ihre Hebamme nach Akupunktmassage und Yoga. Akupunktur und Homöopathie in der Schwangerschaft sind andere bewährte Methoden.
- Gehen Sie für eine oder mehrere der regelmässigen Schwangerschaftskontrollen zur Hebamme statt zum Arzt. Die Krankenkasse kommt dafür auf.
- Buchtipp: Brigitte Renate Meissner: «Geburt - Ein schwerer Anfang leicht gemacht», Eigenverlag 2001, im Buchhandel erhältlich, Fr. 28.70
Kontaktadressen:
- Schweizerischer Hebammenverband, Flurstrasse 26, 3022 Bern, www.hebamme.ch
- Schweizerischer Berufsverband für Geburtsvorbereitung, Neuhofstrasse 9, 8315 Lindau www.geburt.ch
- Vereinigung Doula-Geburtsbegleitung, Winkelstrasse 9, 8165 Schöffisdorf
- Interessengemeinschaft Geburt, Asylstrasse 46, 8708 Männedorf, www.forum-geburt.ch
- appella, Informations- und Beratungstelefon 01 273 06 60, www.appella.ch