«Kein guter Arzt verschreibt diese Mittel»
Schlafmittel nützen älteren Menschen wenig, machen aber süchtig und fördern Stürze. Davor warnt der Zürcher Stadtarzt Albert Wettstein.
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Gesundheitstipp 5/2006
10.05.2006
Esther Diener-Morscher
Schlafmittel sind bei älteren Menschen stark verbreitet: Jeder vierte über 75-Jährige in der Schweiz nimmt rezeptpflichtige Medikamente zum Einschlafen. Und das nicht nur vorübergehend, sondern oft über Jahre.
Doch jetzt kommt aus: Der Nutzen dieser Medikamente ist gering. Die Fachzeitschrift «British Medical Journal» hat eine Studie veröffentlicht, die die Wirkung von Schlafmitteln bei über 60-Jährigen untersucht. Das Resultat: Im Durchschnitt schliefen die Personen mit...
Schlafmittel sind bei älteren Menschen stark verbreitet: Jeder vierte über 75-Jährige in der Schweiz nimmt rezeptpflichtige Medikamente zum Einschlafen. Und das nicht nur vorübergehend, sondern oft über Jahre.
Doch jetzt kommt aus: Der Nutzen dieser Medikamente ist gering. Die Fachzeitschrift «British Medical Journal» hat eine Studie veröffentlicht, die die Wirkung von Schlafmitteln bei über 60-Jährigen untersucht. Das Resultat: Im Durchschnitt schliefen die Personen mit rezeptpflichtigen Schlafmitteln nur gerade eine halbe Stunde länger als ohne Medikamente. Sie wachten auch fast gleich häu?g nachts auf.
Dies betrifft die so genannten Benzodiazepine und Benzodiazepin-Rezeptoragonisten. Dazu gehören Medikamente wie Valium, Temesta, Seresta, Loramet, Dormicum, Dalmadorm, Rohypnol, Stilnox, Imovane und Sonata.
Die Nebenwirkungen solcher Schlafmittel sind aber fatal - besonders bei älteren Menschen: Sie vermindern die Reflexe und entspannen die Muskeln. Viele Betagte stürzen deshalb unter dem Einfluss von Schlafmitteln. Manche verletzen sich dabei derart schwer, dass sie für den Rest ihres Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sind.
Zudem machen die Schlafmittel sehr schnell abhängig. Der Zürcher Stadtarzt Albert Wettstein sagt: «Wenn man die Mittel plötzlich absetzt, ist das mit einem Heroinentzug zu vergleichen.»
Für Wettstein ist deshalb klar: «Ein guter Arzt verschreibt keine solchen Schlafmittel - schon gar nicht älteren Menschen.» Wichtiger sei, sich um die Gründe für die Schlafstörung zu kümmern. Wer bereits Schlafmittel nehme, solle diese nur langsam - das heisst über Monate - und unter ärztlicher Aufsicht absetzen.
Viele Hersteller sind sich der Gefahren der Schlafmittel bewusst. So auch die Firma Wyeth, die Temesta und Seresta herstellt. Wyeth-Sprecher Jorge Wernli verweist aber darauf, dass es Situationen gebe, in denen eine Behandlung mit Benzodiazepinen nötig sei.
Bei Schlafstörungen helfen folgende Massnahmen:
- Stehen Sie jeden Tag zur gleichen Zeit auf.
- Machen Sie nach 15 Uhr kein Nickerchen.
- Gehen Sie abends spazieren.
- Verzichten Sie abends auf Koffein, Nikotin, Alkohol und schweres Essen.
- Schauen Sie vom Bett aus nicht fern.
- Achten Sie darauf, dass es im Schlafzimmer kühl, dunkel und ruhig ist.
- Denken Sie nach dem Zubettgehen an etwas Angenehmes.
- Bei akuten Schlafstörungen helfen pflanzliche Schlafmittel wie Baldrian oder Hopfen.