Antibiotika für Tiere im Stress
Die moderne Kälbermast ist so krank, dass sie ohne Antibiotika nicht mehr auskommt. Auch Bio-Kälber bleiben nicht verschont.
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saldo 6/2004
31.03.2004
Daniel Mennig
Fachleute schlagen Alarm. «Als Tierarzt und damit aus der Sicht des Tieres muss ich sagen, dass die heutige Kälbermast nicht vertretbar ist.» So scharf äussert sich kein Geringerer als der Präsident der Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte, Andrea Meisser. Denn: «Fast jedes Kalb muss mit Antibiotika behandelt werden.» Als Beweis führt Meisser eine breit angelegte Studie an. Fachleute hatten 100 Kälber aus 100 verschiedenen Ställen untersucht und festgestellt, dass 90 Prozent der Tie...
Fachleute schlagen Alarm. «Als Tierarzt und damit aus der Sicht des Tieres muss ich sagen, dass die heutige Kälbermast nicht vertretbar ist.» So scharf äussert sich kein Geringerer als der Präsident der Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte, Andrea Meisser. Denn: «Fast jedes Kalb muss mit Antibiotika behandelt werden.» Als Beweis führt Meisser eine breit angelegte Studie an. Fachleute hatten 100 Kälber aus 100 verschiedenen Ställen untersucht und festgestellt, dass 90 Prozent der Tiere eine chronische Lungenentzündung durchgemacht, sprich: Antibiotika erhalten hatten.
Immunsystem noch zu wenig entwickelt
Am meisten macht den Kälbern zu schaffen, dass sie im Säuglingsalter mehrmals den Stall wechseln müssen. Auf dem Hof, auf dem sie zur Welt kommen, bleiben sie meist nur drei, vier Wochen, dann kommen sie in einen spezialisierten Mastbetrieb. Auf dem Weg dorthin wechseln sie oft nochmals den Besitzer, denn Viehhändler kaufen und verkaufen die Tiere weiter an andere Viehhändler. Bei jedem Handwechsel kommen die Kälber mit fremden Artgenossen von andern Betrieben in Kontakt. Das stresst die jungen Tiere und macht sie krank. Tierarzt Andrea Meisser: «Im Alter von drei bis sechs Wochen entwickelt sich das Immunsystem eines Kalbes erst richtig. Wenn die Kälber in dieser Phase hohem Stress ausgesetzt sind, werden sie damit nicht fertig.»
Konsequenz: Mäster behandeln die ganze Kälberherde über fünf bis zehn Tage mit Antibiotika. Selbst gut geführte Mastbetriebe verzichten nicht auf diesen vorbeugenden, flächendeckenden Einsatz der Medikamente.
Nicht flächendeckend, aber doch fast bei jedem zweiten Tier muss zum Beispiel auch Bio-Bauer Markus Tschan Antibiotika einsetzen. Er mästet zwölf Kälber. Einige davon stammen von anderen Bio-Betrieben und sind im Alter von wenigen Wochen zu ihm gekommen.
Kälbertransport: Keine Besserung in Sicht
Eine Recherche bei der Tierverkehrsdatenbank in Bern, die den Weg jedes Tieres genau registriert, zeigt die harte Realität der modernen Kälbermast in aller Deutlichkeit: Mehr als 90 Prozent aller Mastkälber wechseln den Aufenthaltsort viermal oder mehr. Der Wechsel vom Geburtsbetrieb zum Mastbetrieb erfolgt durchschnittlich im Alter von drei bis vier Wochen. Das muss sich ändern, ist der Präsident der Schweizer Tierärzte überzeugt: «Man muss die Kälber so lange wie möglich in ihrer angestammten Umgebung lassen, bevor man sie allenfalls transportiert und in andere Ställe bringt.»
Fritz Abraham Oehrli, Präsident der Kälbermäster und SVP-Nationalrat, gesteht im Kassensturz-Gespräch Missstände in der Kälbermast ein. «Die Tiere werden zu viel herumgefahren. Das ist nicht gut, das wissen wir.» Nur: Dass die Kälbermäster in Zukunft weniger Antibiotika einsetzen, will Oehrli jedoch nicht versprechen. Er habe wenig Einfluss auf die Problembetriebe. Eine erstaunliche Antwort.
"Fleisch beim Bauern beziehen"
Auf den Beitrag im Kassensturz haben viele Zuschauer reagiert. Eine Auswahl der Zuschriften an die Homepage www. kassensturz.ch:
Da wir in der heutigen Landwirtschaft rationell arbeiten müssen, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Betriebe zu spezialisieren (grosse Mastbetriebe).
Bruno Felder, Ebnet
Der Schweizer Fleischmarkt bietet eine sehr grosse Palette von Fleisch-Labels an, die durch strenge und harte Auflagen ständig kontrolliert werden. Sie können also mit gutem Grund Schweizer Fleisch essen.
Pirmin Schöpfer, Schüpfheim
Ich kenne einen Klein-Bio-Bauern. Er zieht jährlich etwa vier bis sechs Kälber von seinen eigenen Kühen gross, seit Jahren ohne Antibiotika.
P. Schmid, Steffisburg
Der Bauer soll die Kälber bis zur Schlachtung behalten. Das Fleisch darf etwas mehr kosten, wenn es dem Bauern zugute kommt und nicht dem Händler.
Robert Koch, Safnern
Die Lösung wäre, mehr Geld auszugeben für ein besseres Qualitätsprodukt oder das Fleisch direkt beim Bauern zu beziehen oder bei einem Dorfmetzger, den man kennt.
Simone Ehrensperger, Berg am Irchel
Bei uns kommt kein Kalbfleisch mehr auf den Tisch.
Pia Leimer, Schattdorf