Gerechtigkeit sollte sein - auch für die Erben
Ein Erbvorbezug kann bei der Aufteilung des Erbes zu Streitereien unter den Miterben führen. Der Erblasser sollte deshalb klar formulieren, wie eine Schenkung nach seinem Tod zu behandeln ist.
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K-Geld 4/2006
30.08.2006
Fredy Hämmerli
Das Zivilgesetz geht davon aus, dass Eltern ihre Kinder gleich behandeln wollen. Schenkt der Vater zweier Kinder dem Sohn 100 000 Franken für den Aufbau einer eigenen Firma, hat die Tochter beim Tod ihres Vaters Anspruch darauf, dass diese 100 000 Franken zur Erbmasse hinzugerechnet werden. Beide Kinder erhalten dann einen gleich grossen Erbteil.
Diese Regel gilt aber nur, wenn der Vater nichts anderes bestimmt hat. Er könnte auch - am besten schriftlich - festhalten, dass der S...
Das Zivilgesetz geht davon aus, dass Eltern ihre Kinder gleich behandeln wollen. Schenkt der Vater zweier Kinder dem Sohn 100 000 Franken für den Aufbau einer eigenen Firma, hat die Tochter beim Tod ihres Vaters Anspruch darauf, dass diese 100 000 Franken zur Erbmasse hinzugerechnet werden. Beide Kinder erhalten dann einen gleich grossen Erbteil.
Diese Regel gilt aber nur, wenn der Vater nichts anderes bestimmt hat. Er könnte auch - am besten schriftlich - festhalten, dass der Sohn gegenüber seiner Schwester nicht ausgleichspflichtig wird. Die einzige Einschränkung: Eine derartige Bevorzugung darf die Pflichtteile der Miterben nicht verletzen.
Diese Ausgleichspflicht gilt allerdings nur bei Nachkommen. Bei allen anderen Erben ist es umgekehrt: Erhalten sie ein Geschenk, müssen sie dieses beim Tod des Schenkers nicht mit den übrigen gesetzlichen Erben ausgleichen, ausser der Verstorbene hat das ausdrücklich angeordnet. Im Gegenzug haben sie aber auch keinen Anspruch auf Ausgleich.
Ehegatten werden bevorteilt
Bevorzugt sind einzig die Ehegatten: Sie haben ein Recht auf Ausgleich, müssen ihrerseits gegenüber den Nachkommen aber nicht ausgleichen. «Hier geht der freie Schenkungswille vor», begründet Peter Breitschmid, Professor für Privatrecht an der Universität Zürich.
Bei der Ausgleichung gibt es viele rechtliche Probleme und ungeklärte Fragen. Wer einen Erbvorbezug gewährt, sollte deshalb in jedem Fall klar formulieren, ob er eine Anrechnung auf den künftigen Erbteil will oder nicht. Dadurch kann Streit unter den Erben vermieden werden.
Ein heikler Punkt ist etwa der Wert eines Erbvorbezugs zum Zeitpunkt der Erbteilung. Massgebend ist grundsätzlich der Wert am Todestag. Handelt es sich um Bargeld, ist der Fall einfach: Der Nominalbetrag ist massgebend, die Geldentwertung wird nicht einberechnet. Anders verhält es sich bei Wertschriften oder Immobilien. Hier gilt der Börsenkurs am Todestag bzw. eine aktuelle Schätzung des Verkehrswerts.
Nicht selten geht mit einem geschenkten Haus eine Hypothek an den Beschenkten mit. Das wirkt sich beim Tod des Erblassers auf den Wert der Schenkung aus.
Ein Beispiel: Die Tochter des zweifachen Vaters erhielt vor 20 Jahren eine Liegenschaft im damaligen Wert von 400 000 Franken. Die Liegenschaft war mit 100 000 Franken - 25 Prozent - Hypothek belastet. Der Wert des Geschenks betrug also 300 000 Franken.
Den geschenkten Ertrag muss man nicht ausgleichen
Ist das Haus beim Tod des Vaters 600 000 Franken wert, gehen nicht bloss die damaligen 100 000 Franken weg, sondern wiederum 25 Prozent, also 150 000 Franken. Der ausgleichspflichtige Vorbezug beträgt demnach 450 000 Franken.
Was passiert aber, wenn die Tochter das Haus die ganzen Jahre über vermietet hatte? «Mietertrag und Eigenmietwert sind nicht ausgleichspflichtig», erklärt Experte Breitschmid, «ausser der Erblasser hätte das so verlangt.» Dasselbe gilt bei zinslosen Darlehen und Wertschriftenerträgen für die geschenkten Erträge - also für die Zinsen beziehungweise Dividenden.
In der Rechtslehre ist umstritten, ob der Erblasser seine Meinung bezüglich Ausgleichspflicht jederzeit ändern kann. Klar ist, dass eine einseitige Änderung nicht mehr zulässig ist, wenn die Ausgleichspflicht oder -befreiung in einem Erbvertrag festgehalten ist.
Ebenso klar ist, dass der Erblasser auch erst in seinem Testament festlegen kann, ob eine frühere Schenkung an eines seiner Kinder ausgleichspflichtig sei, sofern er vorher nichts anderes bestimmt hat. «Schenkungsverträge mit klaren, eindeutigen Bestimmungen sind höchst ratsam», sagt der Zürcher Rechtsanwalt Thomas Gabathuler, Autor des Saldo-Ratgebers «Erben und Vererben».
Geburtstags-Geschenke sind tabu
Die Ausgleichspflicht soll beim Erbgang grobe Benachteiligungen der Nachkommen verhindern, aber keine Konflikte schaffen. Deshalb muss man z. B. Geburtstags- und Hochzeitsgeschenke nicht ausgleichen. Laut Zivilgesetzbuch ist ausgleichspflichtig, «was der Erblasser seinen Nachkommen als Heiratsgut, Ausstattung oder durch Schuldenerlass, Vermögensabtretung und dergleichen zugewendet hat».
Das gilt für Aus- und Weiterbildung
Eltern sind verpflichtet, ihren Sprösslingen im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten eine angemessene, den Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Ausbildung zu ermöglichen. Beim einen Kind kann das eine Berufslehre sein, beim anderen ein langjähriges Studium.
«Solange beide Kinder zu Hause leben, wird sich in der Praxis daraus keine Ausgleichspflicht ergeben. Dies gilt auch dann, wenn das eine mit 17 bereits einen Teil seines Lehrlingslohns abgeben musste und das andere noch mit 24 auf Kosten der Eltern lebt», sagt der Zürcher Erbrechtsspezialist Thomas Gabathuler. Oder, wie es im Zivilgesetzbuch etwas schwammig heisst: Solange die Ausbildung «das übliche Mass» nicht überschreitet.
Klar ist der Fall also vor allem dann, wenn die Eltern einem Kind eine teure Weiterbildung finanzieren - beispielsweise ein MBA oder ein Nachdiplomstudium. Solche Weiterbildungen kosten schnell einmal Zehntausende von Franken und unterliegen der Ausgleichspflicht.
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